Der Gesandte der Götter (German Edition)
Der Gesandte der Götter
von Gabriel Galen
1. Ein „freundliches“ Willkommen
Schon von fern wurde der Blick von der trutzigen Burg gefangen, deren wuchtige Mauern aus dem Fels zu wachsen schienen, auf dem sie erbaut war. Der einsame Reiter, der mit der sinkenden Sonne auf sie zuritt, konnte sein Ziel daher nicht verfehlen. Doch er hätte auch in stockfinsterer Nacht seinen Weg gefunden, denn die Burg und das Land ringsum waren ihm wohlvertraut. Als er sich dem Burgtor näherte, erstrahlten die Türme im Rot des letzten Sonnenlichts, doch die Mauern warfen bereits tiefe violette Schatten auf den Vorplatz. Dann war die Sonne verschwunden und die Burg ragte schwarz in die schnell wachsende Dunkelheit. Der Reiter hielt vor dem Tor, zog sein Schwert und hämmerte damit mehrmals kräftig gegen das starke Holz, das unter den Schlägen dumpf dröhnend erzitterte.
„Öffnet!“ rief er. „Ich komme mit Botschaft für den König.“
Die schweren Torflügel schwangen zurück und zwei Wachen traten heraus, die ihre Lanzen auf den Reiter richteten.
„Wer seid Ihr und wer sendet Botschaft an König Menas?“ fragte einer der Männer und musterte den Ankömmling.
Der Fremde war hoch gewachsen und schlank, doch breitschultrig und von kräftiger Gestalt. Das schmale Gesicht wirkte ernst, und um den vollen, fein gezeichneten Mund lag ein Hauch von Schwermut. Seine Kleidung ließ keinen Schluss auf seinem Stand zu, aber sie war staubig, und sein Pferd schien von einem langen Ritt ermüdet zu sein.
„Wer ich bin und vom wem ich Botschaft bringe, werde ich nur dem König sagen“, antwortete der Reiter. „Aber wenn ihr mich nicht unverzüglich einlasst, werde ich wieder gehen. Doch die Folgen davon, dass der König meine Botschaft nicht bekommt, werdet ihr zu tragen haben.“
Die beiden Wachen sahen sich unschlüssig an. Doch dann sagte der eine: „Es sei! Wir werden Euch melden. Aber wenn Eure Nachricht nicht wichtig ist, werdet Ihr wohl Schwierigkeiten bekommen.“
„Das überlasst nur mir!“ Ein schwaches Lächeln zuckte um die Lippen des Fremden. „Aber nun gebt den Weg frei!“
Die beiden Männer traten zur Seite und ließen den Reiter durch. Er ritt zu der breiten Treppe, die zum Portal hinauf führte. Dort sprang er aus dem Sattel und rief den beiden Männern zu: „Kümmert euch um mein Pferd!“ Dann schritt er die Stufen hinauf. Einer der Torhüter hatte unterdessen kurz in sein Horn gestoßen. So öffnete sich nun das Portal und ein alter Diener trat heraus, eine Fackel in der Hand. Der Fremde hatte die letzte Stufe erreicht, und der Diener hob die Fackel und leuchtete in sein Gesicht.
„Wer seid ihr und was … gütige Irida! Ihr, Herr?“ stammelte der Alte. „Dass ich das noch erleben darf!“ Er wollte vor dem Fremden aufs Knie sinken. Doch dieser ergriff ihn rasch beim Arm und zog ihn in die Höhe.
„Still, Ordin! Niemand darf erfahren, wer ich bin, bis ich meinen Bruder gesehen habe. Die Wachen kennen mich nicht, und es wundert mich, dass du mich erkannt hast nach all den Jahren.“
„Herr, ich habe Euch auf den Knien gewiegt! Wie sollte ich Euch da nicht erkennen, obwohl meine alten Augen schwach geworden sind! Doch dass Ihr lebt …!“
„Komm, Ordin, bring mich schnell in deine Kammer, ehe wir jemanden begegnen, der Fragen stellt!“ unterbrach ihn der Fremde. „Ich muss erst wissen, was hier während meiner Abwesenheit geschehen ist, bevor ich meinen Bruder aufsuche.“
Der Alte führte ihn nun rasch durch die große Eingangshalle. Sie gingen durch eine schmale Tür, hinter der ein langer Gang zu einer engen Wendeltreppe führt. Viele Stufen mussten sie erklimmen, bis der alte Ordin die Tür zu einer kleinen Dachkammer öffnete. Er ließ den Fremden ein und sank dann erschöpft auf einen Stuhl. Doch sofort fuhr er wieder hoch und sagte erschrocken:
„Verzeiht, Herr, dass ich mich ohne Eure Erlaubnis zu setzen wagte! Doch die Treppe ist so steil und bereitet mir von Tag zu Tag mehr Mühe.“
Der Fremde drückte ihn jedoch wieder auf den Stuhl zurück. „Bleib ruhig sitzen, Ordin! Du brauchst vor mir nicht zu stehen. Ich kann meinen Bruder nicht verstehen, dass er dir keinen anderen Raum zuweist. Und überhaupt solltest du schon längst nicht mehr arbeiten, sondern deinen Lebensabend in Ruhe genießen. Lange genug hast du dich für uns geplagt. Doch ich sehe schon, dass hier vieles im Argen ist.
Weitere Kostenlose Bücher