El Camino Amable
mitschleppen! Einfach unglaublich!
Es ist 20 Uhr und immer noch ungewöhnlich heiß. Wir sitzen im Schatten des Gebäudes und klönen gemütlich weiter. Die Gespräche auf dem Camino sind wirklich besonders. Die Menschen sind viel offener als sonst irgendwo. Man hört besser zu und ist auch bereit und in der Lage zu verstehen. Das geht quer durch alle Sprachen. Ein Mädel aus Deutschland setzt sich noch dazu und gemeinsam lassen wir den Tag bei einem Glas Rotwein ausklingen.
23. Tag
Portomarín—Casanova
Die Nacht war furchtbar! Um 23 Uhr sollte Bettruhe sein, aber bis dahin wurde auch tüchtig geredet und gekichert. Es sind einfach zu viele Menschen in einem Raum.
Ab Kilometerstand 100 zählt der Camino für Fußpilger als Pilgerreise. Also beginnen bei dieser magischen Zahl erst viele Gruppen, Pfadfinder, Konfirmanden, Jugendgruppen... Sie laufen insgesamt nur diese letzten 100 Kilometer, lassen sich in Santiago de Compostela die Pilgerurkunde ausstellen und können dann voller Stolz stets auf die ordnungsgemäß durchgeführte Pilgerreise hinweisen. Unterwegs hat mir jemand erzählt, dass man in Spanien diese Compostela in seiner Biografie erwähnen und auch bei Bewerbungen angeben kann. Das gibt dann Pluspunkte.
Ich habe den Eindruck, dass heute viele von diesen „Neuen“ im Raum sind. Da diese aber von Sarría, wo die letzten 100 Kilometer dieser Wallfahrt beginnen, bis Portomarín nur 21 Kilometer gelaufen sind, waren sie natürlich um Mitternacht noch fit. Diese Gruppen rasten oft und sind am ersten Tag noch ganz gut drauf. Doch am zweiten Tag wird es dann schon anstrengend und viele der Jugendlichen sind dann schon recht kaputt, sagt jedenfalls Silvio. Der ist den Jakobsweg schon viermal gegangen und muss es ja wohl wissen. Sie werden weniger und leiser, sagt er. Das lässt für die nächsten Nächte etwas Hoffnung! Außerdem ist es wahnsinnig heiß im Schlafsaal und ich bereue, das obere Bett gewählt zu haben. Bis die Klimaanlage die Temperatur entsprechend heruntergekühlt hat, ist es weit nach Mitternacht. Morgens aber klingeln ab halb sechs die Handys. Ich stehe erst kurz vor sechs auf, denn im Finstern draußen habe ich Sorge, die Markierungen zu verfehlen. Also ist Aufbruch für mich heute erst um 6.20 Uhr. Aber auch da ist es noch dunkel, ich laufe allerdings in einer Schlange von Pilgern, man kann den Weg gar nicht verfehlen. Also gebe ich mir Mühe, die neuen, frischgebackenen Pilgergruppen zu überholen, was auch klappt, und ich genieße den Morgen wieder in Ruhe. Die Sonne scheint, der Weg ist gut und führt zunächst durch einen Wald, bevor er parallel zur Landstraße verläuft. Diese ist glücklicherweise zurzeit nicht sehr stark befahren. Mein Tagesziel für heute soll Palas de Rei werden, doch als ich dort nach 26 Kilometern ankomme, ist es zu früh, um schon aufzuhören. Also laufe ich weiter und komme auf guten Feldwegen durch schmucke Dörfer. Immer wieder bin ich von der Blütenpracht der Hortensien entzückt, die hier an vielen Gehöften am Wegesrand in üppiger Fülle blühen. Bei uns gibt es sie jedenfalls in der Stadt vorwiegend als Kübelpflanze und auch nicht in solch verschwenderischer Pracht.
Ich laufe weiter bis Casanova und bin hier der vierte Ankömmling! Dabei hatte ich schon Sorge, keinen Platz mehr zu bekommen! Nach mir kommen noch Micha und Dennis aus Ulm, ich in Pereje kennengelernt und auf dem Weg auch schon öfter getroffen habe. Wir setzen uns auf die mit Wein bewachsene Terrasse in den Schatten und kommen erst einmal langsam an. Eigentlich gehört noch Max zu den beiden dazu. Die drei sind Auszubildende bzw. Berufsanfänger und haben sich schon öfter darüber gewundert, dass es tatsächlich Menschen gibt, die den Camino in einem Stück gehen. Da sie selbst nur zwei Wochen Urlaub zur Verfügung haben, haben sie sich die letzten 200 Kilometer des Camino ausgesucht. Seit 3 Tagen hat aber Dennis Probleme mit seinem Knie und die drei haben ihr Lauftempo etwas reduziert. Seit gestern nun macht aber Max der linke Oberschenkel schwer zu schaffen, er kann nur ganz langsam humpeln und seine Freunde überlegen laut, ob sie ihn nicht besser in ein Taxi setzen und vorausfahren lassen. Er kann ja dann im jeweiligen Zielort in Ruhe auf sie warten. Da heute aber Sonntag ist und wir uns auf dem platten Land befinden, wo es nicht gerade von Taxis wimmelt, bleibt Max nichts anderes übrig, als in seinem Tempo zu humpeln, während seine Kumpel schon einmal vorgehen, die
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