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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Curth
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schön. Zu meinem Erstaunen ist der Mann mit dem „Blashorn“ von heute Morgen der Priester, und er übt vor dem Gottesdienst mit den Anwesenden ein Lied, das er mit Fingerschnipsen begleitet. Es ist ein sehr fröhliches Santiago-Lied. Dann zieht er seine Robe an, ein zweiter (aber sehr sauertöpfisch aussehender) Priester stellt sich dazu und der Gottesdienst beginnt. Zunächst gibt es den gewohnten Anfang. Dann nimmt der erste, der lebendige Priester das Mikro und stellt sich in den Gang zwischen die schönen alten Holzbänke. Von hier redet er ohne Vorlage — spricht mal von vorne vor den Reihen, mal von hinten. Anschließend beginnt er mit einem Fürbittengebet und fordert seine Schäfchen auf, eine Fürbitte zu sprechen, egal in welcher Sprache. Er geht wieder nach vorne und verteilt mit dem zweiten Priester das Abendmahl bzw. die Hostie. Dieser zweite Priester gibt sich alle Mühe, fröhlich auszusehen, aber es wirkt wie ein überbreites und sehr angestrengtes Grinsen. Sehr angestrengt. Dann gehen alle Anwesenden nach vorne, fassen sich an und jeder spricht in seiner Sprache das Vaterunser. Und da nun alle vorne sind, bleiben auch gleich alle da und der lebendige Priester macht ein paar launige Bemerkungen (alles leider auf Spanisch) und überreicht einem der Anwesenden (wie ich es verstehe einem Priester, der privat hier ist) eine Jakobsmuschel, klopft ihm auf die Schulter und ermahnt ihn, sich wie ein Pilger zu benehmen (oder so ähnlich). Alle lachen. Er zeigt uns einen gelben laminierten Pfeil und macht deutlich, dass diese Pfeile eigentlich weder nach links noch nach rechts, sondern in Wirklichkeit nach oben zeigen. Alle grinsen. Man hört Musik im Hintergrund, der Priester schnipst mit den Fingern den Rhythmus und fordert alle auf, es ihm gleichzutun. Dann singen alle (die Spanisch können) das Lied vom Beginn dazu (die anderen singen in allen Sprachen „La-la-la“) und lachend und beschwingt gehen alle auseinander. Der Pilgersegen war vorher auch noch dabei und der Priester sprach in 10 bis 20 Sprachen — wie der Papst — das Wort „Friede“ dazu.

    Anschließend sitze ich noch eine Weile mit Jannis und Samuel zusammen. Wir setzen uns dazu in den Glasraum vor den Duschen und genießen das wunderbare Panorama und das restliche Licht nach dem Sonnenuntergang. Dabei trinken wir Wein und ich überrede die beiden, in diesem Glasraum (illegal) zu schlafen, denn es ist so kalt draußen, dass es mir wie kurz vor Bodenfrost vorkommt, und die zwei haben nur ein Zelt.

21. Tag

O Cebreiro – kurz vor Sarría

    Heute bin ich wieder in einer absolut kommerziellen Herberge gelandet. Ich habe keine Ahnung, wo und ich weiß seit drei Stunden nicht, wie viel es kostet. Eigentlich wollte ich nach Calvor.
    Beim Losgehen heute Morgen um halb sieben war es noch nicht hell, obwohl ich extra eine halbe Stunde später aufgestanden bin, denn der Abstieg sollte über viele Kilometer sehr steil und beschwerlich werden. Aber es war noch dunkel und ich musste als Erstes gleich durch einen Wald. Nach etwa 500 Metern hörte ich vor mir wieder jemanden ins Horn blasen und dachte, dass einer der Pilger sich aus einem der zahlreichen Souvenirläden hier oben so ein Ding spaßeshalber mitgenommen hat. Aber dann kam mir der Pfarrer von gestern mit Stirnlampe entgegen und blies in sein Horn, als er mich sah und gab mir die Hand. Ich dankte ihm und während ich weiterging, hörte ich ihn noch dreimal tröten. Ich kann gar nicht genau sagen, warum er das macht, aber ich habe mich sehr darüber gefreut, dass ein Priester sich die Mühe macht, die Pilger auch im Dunkeln auf den Weg zu bringen, durch die Dunkelheit zu begleiten und ihnen einen Gruß mit auf den Weg zu geben.

    Langsam wurde es heller, die Wolken hingen noch in den Tälern und die Berggipfel schauten in diesem wunderschönen Licht daraus hervor. Und als die Sonne aufging, schien die Natur wie mit Glanz übergossen. Der Tau funkelte auf den Gräsern und das Grün der Bäume schien wirklich wie ganz neu geschaffen. Es war toll! Wenn die Sonne dann höher steigt, wird das Licht härter und heller. Es wechselt vom ersten Rosa und Orange der Morgendämmerung, in der die Konturen der Umgebung sich nur ahnen lassen, in das zarte Gelb und Hellgrün des frühen Morgens, in der die Natur von innen zu leuchten scheint. Erst dann geht es unaufhaltsam in gleißende Fülle über, die das Auge blendet und der Welt den Schatten raubt.
    Das Panorama dieser eindrucksvollen Berge konnte

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