Elben Drachen Schatten
möglichst rasch die Kampftechniken eines Kriegers zu erlernen. Gespannt hörte der Junge zu, wenn die Kapitäne Isidorn, Ithrondyr oder Garanthor, von ihren Entdeckungsfahrten zurückgekehrt, berichteten, was sie gesehen und erlebt hatten. Gleiches galt für die Mitglieder der Expeditionen ins Inland, die zunächst ganz Hoch- und West-Elbiana erforschten, bevor sie in Mittel-Elbiana bis zum östlichen Arm des Flusses Tir vordrangen.
Doch so unterschiedlich die Interessen der beiden Elbenjungen zunächst auch sein mochten, so blieben sie doch stark aufeinander bezogen. Wenn der eine etwas bekam, wollte der andere das Gleiche oder etwas noch Besseres. Und wenn einer von ihnen etwas erlernt hatte, so ließ der andere nicht locker, bis er dieselbe Fähigkeit und dasselbe Wissen auch erworben hatte. So verbrachte Magolas unzählige Stunden mit Andir in der Bibliothek und erlernte die Schriftsprache nur wenig später als sein Bruder – wenn auch mit mehr Mühe –, während Andir sich mit Magolas stundenlang im Kampf mit Holzschwertern maß. Die Geschichten der Kapitäne versäumte keiner von ihnen.
Nachdem Andir das Wörterbuch des Padarondir entdeckt hatte, schlug er Magolas vor, doch ebenfalls eine Geheimsprache zu entwickeln, sodass sie sich untereinander verständigen könnten, ohne dass die Eltern oder andere Elbenkinder sie verstünden. Magolas war von der Idee begeistert.
Als Ruwen zum ersten Mal mitbekam, dass sich ihre Söhne untereinander in einer eigenen Sprache berieten, war sie glücklich, denn sie hielt es für einen Beweis, dass es trotz aller Rivalität offenbar auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden gab und dass das Verbindende das Trennende aufhob.
Immer wieder musste Ruwen nämlich an den Traum denken, in dem sie zwei erwachsene, sich völlig ähnlich sehende Elben in einem erbitterten Kampf gesehen hatte. Sie war sich sicher gewesen, dass diese beiden Elben ihre beiden Zwillinge waren. Dass dieser Traum nur ein Spiegelbild ihrer damaligen Ängste gewesen sein könnte, ließ sie nicht gelten, denn sie hatte in diesem Traum die Zauberstäbe des Augenlosen Sehers genau erkannt.
Aber womöglich hatte Keandir recht: Das vorbestimmte Schicksal, dass ihr der Traum gezeigt hatte, existierte nicht mehr, seit Keandir den Furchtbringer besiegt hatte. Die Einigkeit der beiden Zwillinge schien ihr ein Beweis dafür …
Als die Jungen den achten Sommer erlebten, sollte sich Ruwens Hoffnung jäh zerschlagen. Brass Shelian und ein Schamanen-Novize griffen die beiden Jungen in der »Halle des Gedenkens« auf, die König Keandir in Elbenhaven eingerichtet hatte. Sie bestand aus einem großen Kuppelbau, in denen der Geschichte Elbianas gedacht werden sollte. So waren dort unter andere der hölzerne Altar von Gorthráwen der Schwermütigen und die beiden Zauberstäbe des Augenlosen Sehers zu finden. Thamandor hatte inzwischen die Hoffnung weitgehend aufgegeben, die den Stäben innewohnende Magie irgendwann noch einmal wecken zu können. Zuletzt hatte der Waffenmeister sogar versucht, mithilfe einer Überdosis des Extrakts der Sinnlosen genügend geistige Kraft dafür zu gewinnen und war bei diesem Experiment beinahe wahnsinnig geworden; nach Ansicht der Heiler konnte er froh sein, nicht ins Reich der verblassenden Schatten eingegangen zu sein.
Dies war dem Waffenmeister eine Warnung gewesen, und er hatte sich anderen Projekten zugewandt. Insbesondere die Erzählungen Kapitäns Ithrondyr von den riesigen Katapulten, welche die Tagoräer zur Verteidigung ihrer Städte gebaut hatten, interessierten ihn, und er verbrachte inzwischen den Großteil seiner Zeit damit, Konstruktionspläne für ähnliche Kriegsmaschinen zu erstellen, die die Städte und Burgen der Elben schützen sollten.
So waren die Zauberstäbe innerhalb weniger Jahre zu reinen Devotionalien der jüngeren elbischen – genauer gesagt: der elbianitischen – Geschichte geworden.
Was die beiden Jungen in die »Halle des Gedenkens« getrieben hatte, vermochte niemand zu sagen, und die Betroffenen selbst schwiegen dazu. Tatsache war, dass Brass Shelian sie in einem wütenden Kampf miteinander erlebt hatte – unmittelbar vor dem Altar der Gorthráwen, auf dem die Zauberstäbe noch immer gekreuzt aufgebahrt waren. Beide Jungen waren in einer so großen Heftigkeit aufeinander losgegangen, dass Brass Shelian um ihr Leben gefürchtet hatte. Keiner von ihnen wollte später den Grund ihres Streits preisgeben. Auch nicht, nachdem Brass Shelian sie zu
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