Elben Drachen Schatten
einst Branagorn den Suchenden genannt hatte. Seine Provinz wurde im Süden von der inzwischen stark ausgebauten Aratanischen Mauer begrenzt, die von der Küste des Zwischenländischen Meeres bis zu jenem Gebirge reichte, in der die Berge Zylopiens an das Bergland von Hocherde grenzte.
Herzog Ygolas – ehemals Ygolas der Bogenschütze – war von König Keandir zum Herzog von Nuranien erhoben worden, nachdem Herzog Merandil in der Schlacht an der Aratanischen Mauer gefallen war.
Neben ihm hatte Herzog Isidorn von Nordbergen Platz genommen, der von der Gründung eines neuen, Nordgond genannten Hafens an der dem Eisland gegenüberliegenden Küste seines Herzogtums berichtete. Isidorn überlegte gar, seine Residenz von dem weiter westlich gelegenen Berghaven nach Nordgond zu verlegen, aber das sei ein Plan für das nächste Jahrhundert. Des Weiteren sprach Isidorn davon, dass unter der Führung seines Sohnes Asagorn eine Gruppe von Elben auf dem Landweg bis an die östliche Küste des Zwischenlandes vorgedrungen sei und dort die Häfen Meergond und Meerhaven gegründet habe.
»Ihr habt einen Sohn, Herzog Isidorn?«, fragte Keandir erstaunt. »Wir haben wirklich lange Zeit nichts voneinander gehört, denn mir ist noch nicht einmal bekannt, dass Ihr Euch eine Gemahlin genommen habt.«
»Es ist die liebliche Shirawén«, berichtete Herzog Isidorn, und ein besonderer Glanz trat dabei in seine Augen. »Ich traf sie, als ich auf dem Rückweg von der Schlacht an der Aratanischen Mauer den Nur bis zum Quellsee hinaufsegelte und Turandir besuchte.« Turandir am Quellsee des großen Stroms Nur war die südlichste Stadt in Isidorns Provinz. Sie lag zwischen dem Ufer des Quellsees und den ersten Gebirgsketten von Nordbergen.
»Erst ein Jahrhundert der Zweisamkeit, und Ihr wart Euch bereits sicher, dass die liebliche Shirawén die Mutter Eures Sohnes sein darf?«, fragte Prinz Sandrilas, der sein Erstaunen kaum zu verbergen vermochte. »Dann muss es wahre Liebe sein, wenn Ihr Euch so früh so sicher gewesen seid.« Er war der einzige Athranor-Geborene im Raum und hatte damit noch die Zeit des Aufbruchs aus der Alten Heimat erlebt, während es sich bei allen anderen Anwesenden um Seegeborene handelte.
In nicht allzu ferner Zukunft – das war König Keandir durchaus bewusst ― würde er auch die Elbiana-Geborenen an den Führungsaufgaben des Reiches beteiligen müssen. Sein Stadthalter von Nord-Elbiana hatte angedeutet, sein Amt höchstens noch ein Jahrhundert ausüben zu wollen, weil er sich dann dem Studium alter Schriften und der spirituellen Erbauung zu widmen gedachte. Möglicherweise wäre dies der richtige Zeitpunkt, einen geborenen Elbianiter zum Nachfolger zu benennen. Doch darüber hatte Keandir noch keine abschließende Entscheidung getroffen.
Herzog Isidorn fuhr fort: »Ich muss Euch korrigieren, werter Prinz. Mein Sohn ist bereits fast ein Jahrhundert alt. Die Entscheidung, mit der lieblichen Shirawén eine Familie zu gründen, wurde noch sehr viel schneller getroffen, als Ihr vermutet, und im Rückblick muss ich dazu sagen, dass es wohl ein besonderer Überschwang der Leidenschaft war, der uns dazu trieb.«
»Das klingt ja fast schon nach den hastigen Hochzeitsgebräuchen der Rhagar, über die man sich die schauerlichsten Geschichten erzählt«, entgegnete Prinz Sandrilas. »Ich hoffe nicht, dass ausgerechnet Ihr als Herzog von Nordbergen, der Ihr doch fern von jeder Rhagar-Siedlung lebt, damit anfangt, die Gewohnheiten dieser Barbaren zu übernehmen!«
»Ich bin einfach nur meinem Herzen gefolgt«, erklärte Isidorn.
»Genau das meine ich ja!«, sagte Sandrilas. Er warf Keandir einen kurzen Blick zu und fuhr dann fort: »Es steht mir zwar nicht zu, Euch zu kritisieren, aber in der Vergangenheit habe ich den König zeitweilig vertreten, als dieser aufgrund des Heilungsprozesses seiner in der Schlacht an der Aratanischen Mauer erlittenen Verwundungen nicht in der Lage war, die Herrschaft selbst auszuüben – was in Zukunft wohl nicht wieder vorkommen wird. Wie auch immer, ich sehe mich genötigt, Euch in aller Offenheit zu sagen, dass Ihr Eurem Sohn – mag er nun ein zwanzigjähriger Kindskopf oder ein hundertjähriger Jüngling sein – keinesfalls hättet gestatten dürfen, eigenmächtig nach Osten zu ziehen und neue Siedlungen zu gründen.«
»Und weshalb nicht?«, fragte Isidorn, dessen Stirn sich deutlich umwölkte. Der Herzog von Nordbergen, der seine Provinz nach innen seid langem vollkommen autonom
Weitere Kostenlose Bücher