Elben Drachen Schatten
regierte, war es offenbar nicht mehr gewohnt, dass ihm jemand Vorschriften machte – und sei es auch der Befehlshaber des elbischen Heeres, der quasi den Rang eines Vizekönigs bekleidete und den König in allen wichtigen Fragen von frühster Jugend an als väterlicher Freund und Mentor zur Seite gestanden hatte.
»Wir dürfen unsere Kräfte nicht weiter überdehnen«, erklärte Sandrilas. »Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen sie konzentrieren! Schon die Besiedlung von Elbara und Nuranien war im Nachhinein betrachtet ein Fehler.«
»So hättet Ihr die Schlacht an der Aratanischen Mauer allen Ernstes lieber auf dem Boden von Nieder-Elbiana ausgefochten statt auf der aratanischen Ebene?«, wunderte sich Herzog Branagorn, der über die Worte des Prinzen innerlich nur den Kopf schütteln konnte.
Aber Prinz Sandrilas war bekannt dafür, dass er offen und ohne Rücksicht seine Meinung zu sagen pflegte, auch gegenüber dem König, der ihn gerade deshalb von jeher als Ratgeber und Korrektiv ― und bisweilen auch als schwarzseherisches, warnendes Menetekel – schätzte.
»Wir hätten diese Schlacht deshalb nicht unbedingt auf elbianitischen Gebiet austragen müssen«, korrigierte Prinz Sandrilas den Herzog von Elbara. »Der Nur hätte eine natürliche, tausend Meilen lange Grenze dargestellt, die für das Heer der Rhagar nicht so ohne Weiteres zu überwinden gewesen wäre. Ihre karanorischen Riesenechsen hätten die gigantischen Katapulte unmöglich über den Fluss ziehen können, zumal dieser im Herbst und Frühling so stark anschwillt, dass man ihn für einen Meeresarm halten könnte und kaum das andere Ufer erblickt.«
»Die Rhagar haben auch das Meer zwischen den Sandlanden und dem Süden des Zwischenlandes zu überqueren gewusst«, gab Keandir zu bedenken. »Aber es lohnt sich nicht, über getroffene Entscheidungen zu debattieren. Ihren Konsequenzen werden wir ohnehin nicht entgehen, und daher ist es fruchtbarer, sich über die gegenwärtige Lage und unsere Vorstellung von der Zukunft zu unterhalten.«
»Worin ich Euch nur zustimmen kann«, erklärte Branagorn.
Der Blick des Elbenkönigs ruhte einige Augenblicke lang nachdenklich auf dem Herzog von Elbara. Er hatte sich ohne Zweifel als äußerst fähiger Regent seiner Provinz erwiesen, aber es war nicht ausschließlich das Vertrauen in die Fähigkeiten des seinerzeit noch recht jungen Elben gewesen, weshalb ihn König Keandir zum Herzog erhoben hatte. Der eigentliche Grund war der Wunsch gewesen, ihn nicht in seiner Nähe zu haben. Branagorn war Zeuge von Keandirs Begegnung mit dem Augenlosen Seher gewesen. Mehrfach hatte er miterlebt, wie die Kraft des Bösen Besitz von ihm – Keandir ― ergriffen hatte, und seitdem herrschte ein unausgesprochenes, uneingestandenes Misstrauen zwischen ihnen. Branagorn hatte es unterschwellig immer für möglich gehalten, dass die dunklen Kräfte, die seinerzeit in den König gefahren war, erneut die Herrschsaft über ihn zu erringen vermochten; auch die Tatsache, dass der Augenlose Seher seinerzeit erschlagen worden war, beruhigte ihn in dieser Hinsicht kaum.
In Branagorns Gegenwart fühlte sich Keandir daher stets beobachtet. Er hatte ständig das Gefühl, durch den Herzog von Elbara einer prüfenden Musterung unterworfen zu werden, die jede seiner Handlungen, jede Regung in seinem Gesicht – und vor allem jede Veränderung seiner Augen! – als Indiz dafür nahm, dass vielleicht das Böse erneut die Macht über den König aller Elben ergriffen hatte. Wenn sie sich trafen, etwa aus Anlass des Ankunftsfests oder zu dringend notwendigen Beratungen, herrschte stets eine gewisse Verlegenheit zwischen ihnen, die von beiden als solche empfunden, aber nie zum Thema eines Gesprächs zwischen ihnen gemacht wurde.
Keandir traf eine Entscheidung. Gerade noch hatte er einmal mehr darüber nachgedacht, in naher Zukunft einen Elbiana-Geborenen an den Regierungsaufgaben innerhalb des Reiches zu beteiligen. Der Zeitpunkt, dies zu tun, war offenbar schneller gekommen, als er gedacht hatte. Er wandte sich Isidorn zu und sagte: »Richtet Eurem Sohn aus, dass er die Herzogswürde beanspruchen kann, falls Ihr, Herzog Isidorn, Euch außerstande sehen solltet, die neuen Häfen von Nordbergen aus zu regieren.«
»Dazu sehe ich mich aufgrund der Weite des Landes und der Unzugänglichkeit dieser Gebiete tatsächlich außer Stande«, erklärte Isidorn. »Ich hatte gehofft, dass Ihr diese Entscheidung treffen und Asagorn zum Herzog von
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