Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
begegnen. Es muss ja nicht jeder sehen, dass wir eine Gefangene haben.“
Ein leises Rauschen hinter ihr wird langsam, aber stetig immer lauter. Sie dreht vorsichtig ihren Kopf, um über ihre Schulter blickend erkennen zu können, was die Quelle dieses Rauschens ist. Sie erschrickt. Sie steht auf einem Felsen - mit dem Rücken nur wenige Fingerbreit vom Rande eines Abgrundes entfernt. Dieser scheint sich ihr, mit einem pulsierenden roten Glühen immer mehr entgegenzustrecken. Das Rauschen wird allmählich zu einem Grollen. Sie macht einen zaghaften Schritt in die entgegengesetzte Richtung, weg von dem Abgrund. Es ist unsagbar finster hier oben. Die undurchdringliche Finsternis zieht sich wie ein enger Umhang um sie. Sie zittert am ganzen Körper. Sie berührt ihre Haut. Sie ist kalt und nass. Aber was noch viel beängstigender ist: Sie ist nackt.
Die Finsternis, die ihr eben noch undurchdringbar erschien, wird mit einem Mal von einem fernen grünen Leuchten durchbrochen. Das grüne Licht, gepaart mit dichtem Nebel, kommt immer näher und verschlingt die Schwärze, die eben noch sie zu verschlingen drohte. In den wabernden, grünlich schimmernden Nebelschwaden nimmt sie plötzlich eine Bewegung wahr. Eine Gestalt nähert sich ihr und dies in hohem Tempo. Sie wird immer größer. Es ist ein Mann. Er wird schneller und schneller. Er hat sie fast erreicht. Voller Angst und Panik geht sie wieder einen Schritt rückwärts. Dabei lösen sich kleine Steine aus dem verwitterten Felsen und fallen in den glühenden Schlund. Der Mann rennt noch immer unaufhaltsam auf sie zu. Sie schließt die Augen und lässt das Unvermeidliche geschehen. Ungebremst stürzt er auf sie, umschlingt sie blitzartig mit seinen Armen und reißt sie mit sich in die Tiefe. Er hält sie fest umschlungen. Seltsamerweise fühlt sie sich trotz der ausweglosen Situation beschützt und geborgen in den Armen des Mannes. Doch als sie ihre Augen öffnet und ihm ins Gesicht sieht, bleibt ihr fast das Herz stehen. Denn was sie sieht, ist das pure Grauen: eine schwarze Maske...
Elea begann sofort, hysterisch zu schreien, als sie in ihrem Traum die Maske ihres Verfolgers erkannte. Ihr Schreien wollte kein Ende nehmen. Erst als etwas Nasses mit einem lauten Klatsch in ihrem Gesicht aufschlug, verstummte sie und hob vorsichtig ihre Lider. Was sie erblickte, unterschied sich unwesentlich von dem, was sie gerade erst in ihrem Traum in Panik versetzt hatte. Der ganz in schwarz gekleidete, maskierte Mann stand äußerst real über ihr. „Na endlich! Ich dachte schon Euer hysterisches Geschrei hört gar nicht mehr auf.“
Dieser Mistkerl!
Bei dem Anblick ihres Entführers dauerte es nicht lange, bis die Erinnerungen an die grauenhaften Geschehnisse der vergangenenen Nacht wieder hochkamen und dies deutlicher, als ihr lieb war. Sie nahm ihr triefnasses Kopftuch aus dem Gesicht. Ein paar nasse Haarsträhnen klebten ihr quer über die Augen. Offenbar hatte er ihr einfach das Tuch vom Kopf gerissen, es mit Wasser durchtränkt und ihr ins Gesicht geklatscht. Sie blickte ihn wutschnaubend an und wollte gerade ansetzen, ihm eine Beschimpfung an den Kopf zu werfen, als ihr bewusst wurde, wie still es um sie herum war. Der Abend hatte bereits begonnen zu dämmern und ein Lagerfeuer brannte.
Habe ich etwa den ganzen Tag geschlafen? Und wo sind wir hier überhaupt? Wie bin ich hierher gekommen?
All diese Fragen gingen ihr durch den Kopf. Vor allem die letzte bereitete ihr ein deutliches Unbehagen, da sie bereits ahnte, wie sie hierher gelangt waren. Auf Pferden. Natürlich. Das war schon schlimm genug. Aber auf wessen Pferd sie gesessen war, das wusste sie nicht. Und dies war auch gut so. Die Vorstellung, in den Armen dieses grauenvollen Mannes auf einem Pferd zu sitzen, ließ in ihrer Kehle ein Würgereiz entstehen, den sie nur schwer unterdrücken konnte. Sie schaute um sich und erblickte sieben Männer, die sie – um ein kleines Lagerfeuer sitzend - mit offen stehenden Mündern angafften. Sie kannte diesen Blick der Krieger nur zu gut. Ob auch der schwarze Mann hinter seiner Maske in derselben Mimik erstarrt war, konnte sie allerdings nicht sehen. „Hört auf, mich so blöd anzuglotzen!“ Sie wrang ungehalten ihr nasses Tuch aus und erhob sich, was sie sogleich bereute. Alles drehte sich um sie herum und sie wäre seitlich umgekippt, hätte sie ihr Entführer nicht aufgefangen. Sie versuchte, sich von ihm loszureißen – ohne Erfolg. „Lasst mich los!“, zischte sie
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