Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
aufmuntern sollte. Aber leider gelang ihm dies nicht annähernd. Breanna war nebenan im Schlafzimmer und durchwühlte geräuschvoll ihre Truhen. Kaitlyn war bei ihr. Man konnte hören, wie sie Breanna mit ihrer leisen Piepsstimme Löcher in den Bauch fragte.
Elea trat in den kleinen Hof hinaus und atmete die warme frühherbstliche Luft tief ein, sodass sich die Lungen in ihrer Brust zu ihrer vollen Größe aufblähten. Ein intensiver Geruch nach frisch geschlagenem Holz stieg ihr in die Nase. Ganz langsam ließ sie die Luft wieder durch die Nase entweichen. So verweilte sie einige Atemzüge, da sie spürte, wie sich ihre innere Anspannung allmählich auflöste. Sie ging ein paar Schritte und blieb neben dem Brunnen stehen. Um den Holzblock mit der hineingehauenen Axt lag eine Unmenge von Holzspalten zerstreut herum. Elea ließ ihren Blick umherschweifen. Von den Jungen war keiner zu sehen. Elea warf einen Blick zum Himmel hoch. Irgendetwas Seltsames lag in der Luft. Bereits beim Überschreiten der Türschwelle war ihr eine bedrückende Atmosphäre entgegengeschlagen – ähnlich wie bei einem herannahenden Gewitter, nur dass jetzt strahlender Sonnenschein und nicht die kleinste Wolke am Himmel zu sehen war. Kein Vogelgezwitscher war zu hören. Sogar ihre kleine Spatzenfamilie war verstummt. Und von der Hühnerschar, die normalerweise gackernd den Hof unsicher machte, war ebenfalls nichts zu sehen, woran sicherlich Kellen mit seinem lautstarken Frustabbau schuld war. Die Welt schien still zu stehen. Nicht die geringste Bewegung war zu erkennen, nicht einmal das kleinste Blatt bewegte sich mehr. Sie wollte gerade losstürmen und Trost in ihrem geliebten Wald suchen, als ein lautes Poltern aus dem Stall zu hören war. Kellen hielt sich scheinbar immer noch dort auf. Sie überlegte, ob sie ihm gegenübertreten sollte. Nach kurzem Zögern rang sie sich schließlich dazu durch. Sie betrat den Stall und steuerte auf den hinteren Teil des Stalles zu dem letzten Pferdestand zu, in dem normalerweise sein Pferd untergebracht war. Ihre Ahnung bestätigte sich: Er stand einfach nur da, mit dem Rücken zu ihr gewandt, und stützte sich mit beiden Händen an der Wand ab. Sein Atem kam schnell und laut. In der Ecke rechts von ihm lag ein umgekippter Eimer, der immer noch leicht hin und her rollte. Er musste mit aller Kraft gegen ihn getreten haben, was das Poltern verursacht hatte. Elea trat hinter ihn und legte ihre Arme sanft um seine Mitte. Mit behutsamer Stimme sprach sie zu ihm: „Kellen, du musst dich beruhigen. Es hilft niemand, wenn du die ganze Zeit herumtobst und dir am allerwenigsten.“ Er nahm ihre Hände von seiner Brust und drehte sich zu ihr um. Auf seinem Gesicht waren Tränenspuren zu sehen. Eleas Herz krampfte für einen kurzen Augenblick zusammen, da sie Kellen schon seit Jahren nicht mehr weinen gesehen hatte. „Nicht jeder ist so gelassen und stark wie du, kleines Reh.“ Elea hasste es, wenn er sie so nannte. Aber in Anbetracht seiner in Aufruhr befindlichen Gefühlswelt und offensichtlichen Verzweiflung, unterließ sie es, ihn deswegen zurechtzuweisen. „Nur weil ich nicht in Tränen ausbreche oder wie ein scheuender Hengst herumtobe, heißt das noch lange nicht, dass ich gelassen und stark bin“, erwiderte Elea ihren sanften Ton beibehaltend. „Ich stand unter Schock. Ich war wie gelähmt nach all dem, was Albin erzählte, sogar meine Zunge. Als ich nach einer Weile wieder die Kontrolle über meinen Körper hatte, gab ich meinen Beinen den Befehl, schnellstens auf mein Zimmer zu rennen, da ich nur noch allein sein wollte.“
„ Tut mir leid, Rehlein, du…“ Weiter kam Kellen nicht, denn Elea löste sich jäh von ihm und fuhr ihn heftig an, um ihn nun doch wegen des unliebsamen Kosewortes zu tadeln.
„ Kellen, du weißt ganz genau, dass ich es hasse, wenn du mich so nennst. Erstens bin ich kein Kind mehr und zweitens fühle ich mich bei dem Wort
Rehlein
wie ein Beutetier!“ Kellens kurz angedeutetes Grinsen erstarb blitzartig. An dessen Stelle trat ein leidvoller Gesichtsausdruck, als ob er gerade zu einer schmerzlichen Erkenntnis gekommen wäre. Er raufte sich die Haare. „Verdammt, du weißt es ja noch gar nicht! Vor lauter Drachen und Weltrettung hat Vater dir noch gar nicht gesagt, dass – wie es scheint – ein königlicher Trupp Krieger auf dem Weg nach Rúbin ist. Es heißt, sie hätten einen geheimen Auftrag.“ Eleas Augen wurden immer größer und nach dem letzten tiefen Atemzug hielt
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