Eleanor Rigby
manisch-depressiv, abartig oder glauben, wir würden unter Chrommangel leiden. Erst wenn wir um die dreißig sind, finden wir heraus, was unserer Jugend die Freude genommen und ein Feuer in unserem wimmernden Hirn entfacht hat, auch wenn wir äußerlich so selbstbewusst und sonnengebräunt wirken wie Qantas-Piloten: die Einsamkeit.
~5~
Am nächsten Morgen war auf meinem Anrufbeantworter eine Nachricht von meinem Chef, dem Zwerg. Sein Name ist Liam.
Ich hoffe, deine Operation ist gut gelaufen, Liz. Hier im Büro hast du nicht besonders viel verpasst. Ich lasse dir von Donna ein paar Akten bringen, mit denen du dich nächste Woche ein bisschen beschäftigen kannst, während du dich erholst. Schade, dass du nicht zu Hause bist. Ruf mich an, egal wann.
Was? Ich hatte nichts verpasst? Das wäre ja auch noch schöner, dass irgendetwas auch nur halbwegs Dramatisches bei Landover Communication Systems, der Legebatterie, geschieht ...
Liz, es hat gebrannt...
Liz, wir haben uns in der Mittagspause alle nackt ausgezogen und miteinander rumgemacht ...
Liz, diese Stimmen in meinem Kopf? Die sind real.
Nun, das Besondere an Liam ist, dass ihm die Arbeit wirklich Spaß macht. Das ist mir unbegreiflich. Ich habe ein paarmal versucht, mir von seiner guten Laune eine Scheibe abzuschneiden, aber keine Chance. Ein Job ist ein Job ist ein Job. So sehe ich das wenigstens, und eh man sich's versieht, ist - puff! - alles vorbei, und man streut deine Asche von der Lions Gate Bridge.
Liam verfügt über Eigenschaften, die mir fehlen, zum Beispiel über einen gewissen missionarischen Eifer sowie Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer, mich eingeschlossen. Das ist nicht anders zu erwarten, denn ich bin eine graue Maus, eine hoffnungslos graue Maus. Als ich geboren wurde, warf der Arzt einen Blick auf das blutverschmierte, schreiende Etwas in seinem Arm und fragte die Schwester, ob es am Abend irgendwas Gutes im Fernsehen gebe. Meine Eltern schauten mich an, sagten »Soso« und besprachen dann, in welcher Farbe sie das Wohnzimmersofa beziehen lassen sollten. Und das ist nicht witzig gemeint.
Die Menschen schauen mich an und vergessen, dass ich da bin. Um ehrlich zu sein, muss ich gar nicht erst versuchen, mich unsichtbar zu machen, es passiert einfach. Aber für Liam bin ich offenbar nicht unsichtbar genug, vor allem wenn er meint, ich hätte vielleicht Lust, »mich mit ein paar Akten zu beschäftigen«, während ich mich von dieser Zahn-OP erhole.
~6~
Eines meiner größten Probleme ist mein gestörtes Verhältnis zur Zeit. Wenn ich mich einsam fühle, glaube ich, dass diese Gemütsverfassung niemals vorbeigehen wird — dass ich mich für den Rest meines Lebens einsam und schlecht fühlen werde, was bedeutet, dass ich mir sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft verderbe. Und wenn ich auf meine Vergangenheit zurückblicke, verderbe ich mir auch die, weil ich nur auf das achte, was ich falsch gemacht habe. Das Gemeine an einem gestörten Verhältnis zur Zeit ist, dass es sich nicht dadurch beheben lässt, dass man es beim Namen nennt.
Ich betrachte den Philodendron auf der Küchenfensterbank, das Einzige in meiner Wohnung, was sich überhaupt verändert. Ich habe ihn vor zwölf Jahren an einer Bushaltestelle gefunden und seitdem am Leben erhalten. Er gefällt mir, weil seine Blätter von nahem gesehen hübsch sind und er mich die Zeit auf eine Weise sehen lässt, die mich nicht völlig deprimiert.
Wenn ich zwanzig Jahre in der Zeit zurückreisen und meinem jüngeren Ich einen einzigen Rat geben könnte, dann würde er lauten: »Mach dir nicht so verdammt viele Sorgen.« Aber wen junge Leute Älteren einfach nichts abkaufen, würde ich meinen Rat höchstwahrscheinlich in den Wind schlagen.
Falls es im Jahre 2034 eine Liz Dunn geben sollte, darf ich dich dann höflich bitten, in die Gegenwart zu reisen und mir den Rat zu geben, den ich brauche? Ich verspreche dir, dass ich auf dich hören werde, und ich werde dir ein Stück von meinem Philodendron mitgeben, damit du dort auch eine Pflanze ziehen kannst.
~7~
Ich schlief bis zum nächsten Nachmittag durch — so eine OP schlaucht einen total. Mitten in meinem Schmonzetten-Festival kam meine große Schwester Leslie vorbei. Sie überfiel mich ausgerechnet bei einer herzzerreißenden Szene am Ende von Der Garten der Finzi-Contini, als die Familie erkennt, dass sie in der Gaskammer enden wird. Die Schmerzmittel hatten mir leicht das Hirn vernebelt, und
Weitere Kostenlose Bücher