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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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der Videothek das als traurigen Film empfohlen hatte — ich fand ihn ziemlich harmlos. Es klopfte an meiner Tür, und da niemand an der Haustür geklingelt hatte, nahm ich an, es sei Wallace, der Hausmeister. Doch es war Diana von Landover Communication Systems. Schlaksig und offensichtlich unterernährt stand sie in meinem Flur, einen Stapel Mappen und Umschläge an die Brust gedrückt. Alle im Büro mögen Donna, weil sie immer obenauf, immer im Bilde ist — aber ich durchschaue sie. Sie ist wie ich. Sie ist eine Beobachterin.
    »Donna?«
    »Hallo, Liz.«
    Mir wurde klar, wie furchtbar ich aussehen musste. Ich berührte meine Wangen. »Die Schwellung ist ziemlich heftig.«
    Sie presste immer noch die Papiere an ihre Brust. »Liz, deine Augen sind ganz rot.« »Traurige Filme.« »Was?«
    »Traurige Filme. Wenn man Schmerzmittel intus hat, kommen sie einem trauriger vor, als sie wirklich sind.« »Ich liebe es, bei traurigen Filmen zu weinen.« »Ach. Willst du reinkommen?« »Danke.«
    »Liam hat gesagt, er schickt einen Kurier.«
    »Ich dachte mir, ich komm Heber selber.«
    Nicht nur dass Donna andere beobachtet, sie ist auch Tratsch nicht abgeneigt, und sie ist nicht blöd. Ihre Blicke tasteten meine Wohnung ab wie ein Scanner an der Supermarktkasse die Strichcodes auf den Waren. Die Kollegen würden am nächsten Tag in der Mittagspause bestimmt in den Genuss einer kommentierten Führung kommen: Wie ein Knast für alte Jungfern - so gut wie nichts an den Wänden, die Möbel von einer farbenblinden Nonne ausgesucht und, was am merkwürdigsten ist, keine Katzen.
    Donna sagte: »Schöne Wohnung.«
    »Gar nicht wahr.«
    »Doch.«
    »Sie erfüllt ihren Zweck:« »Ich finde sie hübsch.«
    »Sind das die Akten, mit denen ich mich beschäftigen soll?«
    »Die hier?« Sie hatte sie über der Inspektion meiner Wohnung ganz vergessen. »Ja. Nichts allzu Kompliziertes, hoffe ich. Du bist bestimmt noch ein bisschen beduselt von deinen Medikamenten.« Sie legte die Akten auf den Esstisch.
    »Möchtest du welche?«
    Sie war schockiert. »Was — deine Medikamente?« »War bloß ein Witz.«
    »Oh.« Sie suchte nach Worten, aber meine Wohnung bot so gut wie gar keinen Gesprächsstoff. Auf dem Bildschirm entdeckte sie Klopfer, der mitten in der Bewegung erstarrt war, als ich die Pausetaste gedrückt hatte. »Du guckst Bambi, hm?«
    Ich versuchte ein wenig zu plaudern. »Weißt du, ich bin sechsunddreißig, und ich hab den Film noch nie gesehen.«
    »Der zieht einen echt runter. Du weißt schon - die Stelle, wo Frau Bambi erschossen wird und so.«
    Ich war überrascht. »Das wusste ich nicht.«
    »Das wusstest du nicht? Das weiß doch jeder, dass Bambis Mutter erschossen wird. Das ist schließlich ein Bestandteil unserer Kultur, genau wie Rudolph, das rotnasige Rentier.«
    Ich dachte kurz nach. »Du meinst Rudolph, das nützliche Rentier.«
    »Hä?«
    »Seien wir doch ehrlich, wenn Rudolph nicht imstande gewesen wäre, den anderen Rentieren zu helfen, hätten sie ihn den Wölfen überlassen - und gelacht, während deren Reißzähne seine Haut durchbohrten.«
    »Das ist aber eine makabre Sichtweise.«
    Ich seufzte und starrte die Akten an, die Donna mir gebracht hatte.
    Sie wechselte das Thema. Mit einem Kopfnicken deutete sie auf den Druck von Monets Seerosen in Giverny neben der Küche. »Hübsches Poster.«
    »Hat meine Schwester mir geschenkt.«
    »Es passt zu dir.«
    »Es war übrig, als sie ihr Büro neu eingerichtet hat.«
    Donna platzte der Kragen. »Liz, warum musst du immer so negativ sein? Das hier ist eine tolle Wohnung. Du solltest froh darüber sein. Ich wohne in einem Dreckloch und muss die Hälfte meines Gehalts für die Miete ausgeben.«
    »Soll ich dir einen Kaffee machen?« »Nein danke. Ich muss wieder ins Büro.« »Bist du sicher?« »Ich muss los.«
    Ich brachte sie zur Tür und wandte mich wieder dem Film zu. Zu meiner Zufriedenheit stellte ich fest, dass das Wissen um das Schicksal von Bambis Mutter den Genuss nicht schmälerte.
    Beim Abspann achtete ich darauf, in welchem Jahr er gedreht worden war: MCMXLII - 1942. Selbst Bambi ist inzwischen längst tot. Es ist zu Erde geworden, genau wie Klopfer und Blume. Rehe werden bis zu achtzehn Jahre alt; Kaninchen zwölf, Stinktiere höchstens dreizehn. Und es ist eigentlich gar keine so üble Vorstellung, zu Erde zu werden — feucht und körnig wie Haferflockenmuffins mit Himbeeren. Erde lebt — das muss sie, damit sie neues Leben nähren kann. In gewisser

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