Italienische Novellen, Band 2
Die blonde Ginevra
Nachdem wir heute eine gute Zeit von dem letzten Krieg gesprochen und viele Kriegslisten erzählt haben, durch die sowohl die Feinde als die Unsrigen den Sieg zu gewinnen strebten, auch der unglückliche Tod jenes braven, ehrenfesten und angesehenen Greises, des Nestors unseres Heeres, Grafen von Collisano, erwähnt worden ist, der uns alle stets von neuem betrübt, befehlt Ihr mir nunmehr, mein gnädiger Herr, durch eine anmutige Erzählung die Gesellschaft wieder aufzuheitern, da fast allen diese traurige Erinnerung die Tränen in die Augen gelockt hat. Und da ich weiß, daß ich mich bei Euch nicht entschuldigen darf noch kann, will ich Eurem Befehle gehorchen und somit eine Novelle erzählen; ob sie Euch aber wird aufheitern können, das muß ich darauf ankommen lassen. Jedenfalls hoffe ich, wird, was ich Euch biete, durch die Abwechslung Euch unterhalten können.
In Spanien also, in der Nähe der Pyrenäen, lebte auf ihrem Schlosse die Witwe eines Ritters aus sehr vornehmem Geschlechte aus dieser Gegend, die von ihm nur eine einzige sehr schöne und reizende Tochter hatte und bei sich mit vieler Sorgfalt erzog. Das Kind wurde von jedermann die blonde Ginevra genannt, weil sie so lichtes Haar hatte, daß es blanken, glänzenden Goldfäden glich. Vielleicht eine halbe Tagereise von dem Orte, wo die blonde Ginevra wohnte, lag die Burg eines jungen Ritters, der auch vaterlos war und nach dem Willen seiner Mutter lange Zeit in Barcelona verweilt hatte, um dort zu studieren und zugleich gute, feine Sitten und eine adelige Erziehung sich anzueignen. Er war nicht allein höflich und anmutig geworden, sondern hatte sich neben den Wissenschaften auch dem Waffenwesen so ergeben, daß ihm von den ritterlichen Jünglingen in Barcelona nur wenige darin gleichkamen. Als nun die Barceloner zu Ehren des Königs Philipp von Österreich, der durch Frankreich nach Katalonien zog, um seine Königreiche in Spanien in Besitz zu nehmen, ein Turnier anstellten und zu dem Ende einige junge Männer auswählten, war einer der hauptsächlichsten unter ihnen Don Diego, von dem wir reden. Er bat daher seine Mutter, ihn mit dem, was für das Turnier vonnöten sei, zu versehen, damit er, wie es sich ziemte, anständig bei dieser Festlichkeit sich zeigen könne. Die Mutter, die eine verständige Frau war und ihren Sohn wie ihren Augapfel liebte, sendete ihm Geld die Fülle und stattliche Diener, mit dem Bedeuten, nichts zu sparen, was die Ehre dieses Festes fordere. Er versah sich also mit Waffen und mit Pferden zur Genüge und übte sich unter Leitung eines geschickten Fechtmeisters täglich ein.
Der König Philipp kam und wurde von den Barcelonern ehrenvoll empfangen, ja alles, was in den Kräften der Stadt lag, dazu aufgeboten, denn er war der Eidam Ferdinands, des katholischen Königs, der seinerzeit wegen des Todes der Königin Isabella nach dem Königreich Neapel gefahren war, und als dieser katholische König starb, erbte Philipp von Österreich das Ganze. Das Lanzenstechen fand statt, und es kämpften dabei lauter edle Jünglinge mit, die noch nie zuvor Waffen getragen hatten. Es fiel sehr schön aus, und Don Diego trug den Preis davon. Als der König Philipp nun den neunzehnjährigen Jüngling sah, machte er ihn zum Ritter, lobte ihn sehr in Gegenwart der ganzen Stadt und ermahnte ihn, standhaft immer höher zu streben.
Als der König Philipp nach Kastilien abgereist war, ordnete Don Diego seine Angelegenheiten in Barcelona, und da er nach so langer Zeit seine Mutter wieder einmal zu sehen wünschte, verließ er die Stadt und begab sich auf seine Besitzungen. Seine Mutter nahm ihn dort liebevoll auf, und er brachte seine Tage auf der Hirsch- und Eberjagd zu, von welchem Wilde es einen Überfluß in jener Gegend gab. Manchmal aber verstieg er sich wohl auch in das Gebirge und erlegte einen Bären. Da geschah es eines Tags, daß er, seinen Hunden folgend, die die Spur einiger Rehkälber ausgewittert hatten, in dem Dickicht ein Rudel Hirsche antraf, von denen einer heraussprang und vor ihm vorbeilief. Sobald er den Hirsch sah, gab er die Spur der Rehkälber auf, um auf ihn Jagd zu machen, befahl einigen der Seinen, ihm zu folgen, und setzte dem edeln Tiere mit verhängtem Zügel nach. Vier berittene Jäger aus seinem Gefolge sprengten zwar hinter ihrem Gebieter her, aber ihre Eile dauerte nicht lange, da der Ritter einen vortrefflichen spanischen Renner ritt, weshalb sie ihn bald aus dem Gesichte verloren; Don Diego
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