Elegie - Herr der Dunkelheit
sie an. »Er hat Grund genug, Euer Volk zu hassen, Hohe Frau. Und auch das meine. Wenn es Irrsinn ist, der ihn umgibt, dann haben ihn unsere Völker so weit gebracht.«
Sie sah weg und zeigte ihm ihr Profil, so klar wie ein Schattenriss. »Das habt Ihr bereits einmal gesagt«, nickte sie. »Und dennoch, wenn er zu uns käme, dann könnte Malthus ihn heilen. Er ist an Körper und Geist verwundet. Es könnte getan werden, von jemandem, der den Soumarië einzusetzen weiß. Denn so ist die Kraft der Souma, sie kann erschaffen und die Dinge wieder ganz werden lassen. Selbst im kleinsten Splitter steckt diese Macht. Im Dolch Gottestöter ist sie zehnfach enthalten. Satoris Fluchbringer ist wahrlich grausam, dass er ihm diese Heilung vorenthält.«
»Vorenthält?« Tanaros lachte laut auf.
»Ihr redet doch von seinem Schmerz!« Cerelindes Stimme wurde laut vor Zorn. »Und der Weltenspalter hat ihn nur zu gern für seine Zwecke eingesetzt. Habt Ihr nie daran gedacht, dass Uschahin dem Fehlgezeugten mit Freundlichkeit mehr gedient gewesen wäre?«
»Mit Freundlichkeit?« Tanaros zügelte sein Pferd und brachte die Gruppe zum Halten. Hinter ihnen kicherten die Fjel, die ihre Unterhaltung belustigt verfolgten. »Hohe Frau, mein Herr Satoris hat dem Traumspinner öfter, als Ihr zählen könntet, angeboten, ihn zu heilen.« Er lächelte grimmig, als er ihren überraschten Gesichtsausdruck sah.»Ja, so ist es. Glaubt Ihr, der Fürst von Finsterflucht wüsste den Gottestöter nicht zu gebrauchen? Er ist ein Schöpfer, einer der Sieben, auch wenn Haomane sich von ihm abgewandt hat. Uschahin hat sich dafür entschieden, sein zerstörtes Gesicht und seine verkrüppelten Hände zu belassen, wie sie sind. Es wurde ihm nichts vorenthalten. Er entschied sich dafür, seinen Schmerz, seinen Irrsinn zu behalten. Wieder und wieder hat er diese Wahl getroffen.«
»Es ist nicht recht.« Sie war erschüttert.
»Warum nicht? Weil Ihr es so empfindet?« Tanaros schüttelte den Kopf und trieb sein Pferd wieder an. »Ihr begreift gar nichts.«
»Tanaros.« Die Angst in ihrer Stimme und die Tatsache, dass sie seinen Namen nannte, ließ ihn im Sattel herumfahren. Ihr Gesicht hob sich bleich vor der Dunkelheit der Tunnelwände ab, und das emporgereckte Kinn bebte. »Was will er von mir, der Weltenspalter? Wieso wurde ich ergriffen und nicht erschlagen? Darin liegt doch keinerlei Sinn. Als Ihr uns angegriffen habt …« Cerelinde schloss kurz die Augen. »Als der Angriff kam, dachte ich, Ihr wärt verkleidete Beschtanager. Haomane stehe mir bei, ich hätte darauf geschworen. Dann erwachte ich, umgeben von Fjeltrollen …« Sie erschauerte und schluckte. »Warum?«
Mitleid wallte in seinem Herzen auf, eine gefährliche Regung. »Hohe Frau, das kann ich Euch nicht sagen. Aber vertraut darauf, dass Euch nichts geschehen wird. Das hat mein Fürst geschworen.«
Verzweiflung lag auf ihrem Gesicht, Verzweiflung und Unglaube.
»Gehen wir jetzt weiter oder nicht, Heerführer?«, war Hyrgolfs grollende Stimme zu hören.
»Ja!« Tanaros löste seinen Blick und grub seine Fersen in die Flanken des Rappen. Das Pferd schnaubte und trottete nun durch die Reihen der Fjel, die ihn gut gelaunt grüßten. »Gebt den Befehl, Marschall!«
»Abmarsch!«, rief Hyrgolf.
Und weiter schritten sie durch die Dunkelheit. Tanaros schloss zu Uschahin Traumspinner auf, der ihn mit einem unauslotbaren Blick bedachte. »Du spielst ein gefährliches Spiel, Vetter«, sagte er.
Tanaros schüttelte den Kopf. »Hier gibt es kein Spiel.«
Uschahin, der noch immer den Lederkoffer gegen den Bauch gedrückt hielt, in dem sich der Schattenhelm befand, zuckte die verkrümmten Schultern. »Wie du meinst. Wenn ich darüber zu bestimmen hätte, würde ich keine Zeit verlieren, sie zu töten.«
»Das bestimmt aber der Fürst.« Tanaros’ Stimme wurde hart. »Würdest du ihm alle Ehre nehmen?«
»Wenn es ums Überleben ginge?« Bitterkeit lag in Uschahins Augen. »Ja, das würde ich.«
Tanaros streckte den Arm aus und legte seine Hand auf die verkrüppelten Finger, die den Lederkoffer festhielten. »Vergib mir, Vetter«, sagte er. »Die Graufrau der Wehre verdient alle Ehre. Sie lebte ihr Leben so, wie sie es wollte, und starb mit den Fangzähnen an der Kehle ihres Feindes.«
»Ja.« Uschahin holte tief Luft. »Ich weiß.« Im von Fackeln erhellten Tunnel leuchteten seine ungleichen Augen. »Weißt du, Vetter, dass meine Graufrau dir eine Gabe verliehen hat? Sogar noch im Tod.
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