Elegie - Herr der Dunkelheit
haben die Demut als ihr Schicksal akzeptiert. Das nennt Ihr weise?«
»Niemand erschlägt ihre Jungen«, sagte Phraotes. »Yrinnas Friede hat seine Vorzüge. Das jedenfalls denkt die Graufrau Vaschuka. Es tut mir leid, Zauberin. Ihr wart eine gute Freundin der Wehre. In Beschtanag waren wir sicher. Das sind wir nicht länger, wenn ein Krieg kommt.« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Wir wenden uns nicht von Euch ab. Die Graufrau überlässt Euch ein Kundschafterrudel jähriger Brüder, die an den westlichen Grenzen patrouillieren und Euch berichten werden. Aber wir werden nicht mit Euch in den Kampf ziehen. Wir sind zu wenige.«
Es ist ihr gutes Recht, Lilias.
»Ich weiß«, sagte sie laut, dem Drachen antwortend. »Ich weiß.« Zögernd neigte Lilias vor dem Botschafter der Wehre den Kopf. »Ich höre Eure Worte, Phraotes. Obwohl ich enttäuscht bin, sind sie doch wohlgesprochen. Sagt der Graufrau Vaschuka, dass die Zauberin des Ostens ihre Freundschaft zu schätzen weiß. Solange ich in Beschtanag herrsche, sind die Wehre hier willkommen.«
»Zauberin.« Er verneigte sich, offensichtlich erleichtert; die Ohren hatte er jetzt in einem etwas selbstbewussteren Winkel aufgestellt. »Ihr seid weise und großzügig.«
Draußen hustete einer der Wachleute. Lilias unterdrückte das aufwallende Gefühl von Ärger. Die Wächter hatten ein leichtes Leben und mehr Freiheit als sonst irgendwo in Pelmar, wo sie den Launen der jeweiligen Regenten unterworfen waren. Mithilfe der Wehre sicherten sie und Calandor die Grenzen von Beschtanag. Sie hatte lediglich eine Übereinkunft geschmiedet, mit der sie in Frieden so leben konnte, wie es ihr beliebte.
Sie verlangte nichts weiter als Loyalität.
Sie selbst gönnte sich wenig. Es gab ihre Dienerschaft, ihre Hübschen, aber was war schon dabei? Sie umgab sich gern mit Jugend und Schönheit. Es war eine kostbare und flüchtige Sache, diese kurze Zeitspanne, in welcher die Jugend an die Grenze des Erwachsenseins stieß und sich für unsterblich hielt, in der sie sich weigerte, die Fessel des Daseins anzuerkennen. Es erinnerte sie daran, weshalb sie das geworden war, was sie war, die Zauberin des Ostens.
Die meisten dienten ihr aus eigenem Entschluss. Und die anderen … nun ja. Sie versuchte, sie mit Weisheit auszuwählen, aber vielleicht gab es einige Ausnahmen. Es war eine niedere Form der Schöpfung, bestenfalls eine geringe Bindung. Niemandem von ihnen wurde dabei ein Leid zugefügt, und Lilias beschenkte sie großzügig, wenn die Frische der Jugend schwand und sie die Männer und Frauen aus ihren Diensten entließ, damit sie gewöhnliche, sterbliche Leben führen konnten, die vom Glanz einer Geschichte überschattet wurden, die lange vor ihrer Geburt begonnen hatte und bis über ihren Tod weitergehen würde.
Niemand hatte Grund, sich deswegen zu beschweren.
Und niemand von ihnen war so weise, unter dem Schatten dessen zu erschauern, was an diesem Tag geschehen war. Sie sahen in der Haltung der Graufrau Vaschuka nicht das Echo dessen, was in Haomanes Prophezeiung geweissagt wurde. Aber Lilias bemerkte es und spürte einmal mehr den Geschmack der Angst.
Die Wehre sollen geschlagen werden, noch ehe sie sich erheben …
»Ich danke Euch, Botschafter«, sagte sie. »Ihr könnt gehen.«
Er entfernte sich, den Bauch tief am Boden, fließend wie Rauch.
»Beschtanag hat sich nie auf die Wehre verlassssen, kleine Schwessster.«
»Nein.« Lilias lehnte sich gegen die starke Säule, als die der linke Vorderlauf des Drachen hinter ihr aufragte, und sah, wie die blaue Dämmerung vor der Höhlenmündung sich verdunkelte. »Aber es ist dennoch ein Schlag. Selbst wenn alles so geht, wie Tanaros Schwarzschwert behauptet, müssen wir uns darauf vorbereiten, Haomanes Verbündete einen Tag abzuwehren, vielleicht auch länger. Beschtanag wird nicht an einem Tag fallen, aber es wäre eine Hilfe gewesen, die Wehre in der Hinterhand zu haben.«
»Ja.«
Am Horizont stieg der rote Stern empor. »Calandor?«
»Ja, Liliasss?«
»Was ist, wenn er recht hat?« Sie reckte den Hals, um zu ihm hochzusehen. »Was, wenn die Zwerge tatsächlich weise waren, als sie Yrinnas Frieden wählten? Sollten wir nicht das Gleiche tun? Haben wir unrecht, wenn wir uns Haomanes Willen widersetzen?«
Die Nickhaut klappte kurz über das linke Auge des Drachen. »Was issst denn Recht , Liliasss?«
»Recht«, erwiderte sie gereizt. »Das, was kein Unrecht ist.«
»Am Anfang«, grollte Calandor, »war
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