Elegie - Herr der Dunkelheit
und versuchten, sie von ihrem Gesicht zu ziehen. »Seid Ihr verletzt? Herrin, lasst mich sehen!«
»Tut weh«, konnte Lilias schließlich flüstern. »Oh gesegneter Haomane, es tut so weh!«
Lilias. Lilias, es ist nur ein Trugbild.
»Calandor, hilf mir!«
Der große Körper des Drachen bewegte sich und schabte über den steinernen Boden. Eine mächtige Klaue schob sich vor, und die Krallen umschlossen sanft den runden Spiegel. »Weiche zurück, Menschensohn!«
Gergon ging hastig rückwärts und presste Lilias mit einem starken Arm gegen seine Brust. Mit schmerzvoll zusammengekniffenen Augen spähte sie durch ihre Finger, als der Drache den sehnigen Hals neigte. Seine Schuppen schimmerten dunkel, als er den Kopf zu dem
Ding beugte, das er in einer erhobenen Klaue hielt. Der blasse Panzer seines Unterleibs dehnte sich, als er Atem schöpfte.
Der Drache stieß ein brüllendes Fauchen aus.
Feuer schoss aus Calandors weit aufklaffendem Maul, blau und heiß im Innersten, während die Flammen von grellem Orange bis ins Gelbliche changierten. Haergans Spiegel, den er fest in seinen Klauen hielt, schmolz , und Tropfen flüssiger Bronze fielen zischend auf den Höhlenboden.
Die Verbindung war unterbrochen.
Der Schmerz verebbte.
Vorsichtig befühlte Lilias ihr Gesicht. Es war ganz und unverletzt, keine Knochensplitter bohrten sich durch ihre glatte Haut. Kein Schmerz, nur die Erinnerung daran. Hier, auf ihrer Stirn, saß beinahe leblos der Soumanië. »Calandor?«
»Vergib mir, Liliasss.« Der Drache klang zerknirscht. »So viel Gewalt … habe ich nicht … erwartet.«
»Es geht Euch also gut, Herrin?«, fragte Gergon voll ruppiger Besorgnis.
»Gebieterin!« Pietre stürmte in die Höhle und warf sich auf die Knie. In seinen Augen standen Tränen. »Ich fürchtete, man hätte Euch getötet!«
»Noch nicht, mein Liebling.« Sie lächelte ihn trotz der abgrundtiefen Erschöpfung an, die sie empfand. Sie waren hier, sie waren alle hier, ihre kleinen Hübschen, und versammelten sich hinter Pietre. Nicht ganz bereitwillig, nicht alle jedenfalls, nein, sie hatte nicht immer weise gewählt – dort stand Radovan und verzog das Gesicht, es war Zeit, ihn gehen zu lassen, ebenso die mürrische Marija –, aber dort war der besorgte Stepan, die dunkeläugige Anna und die süße Sarika, die sich auf die zitternde Lippe biss. »Im Augenblick bin ich nur müde.«
»Ich werde Euch in Eure Gemächer bringen, Gebieterin.« Ohne auf Erlaubnis zu warten, hob Pietre sie auf seine Arme und erhob sich. Es war ihm hoch anzurechnen, dass er nur ganz wenig erschauerte, als ihm der Drache amüsiert dabei zusah.
Lilias war zu müde, um zu widersprechen, und ließ es daher
geschehen. Gergon bellte Befehle, und seine Wachmänner reihten sich hinter ihm ein. Es war eine erschreckende Erfahrung, so schwach zu sein, selbst mit dem Soumanië auf der Stirn. Jetzt brauchte Beschtanag sie mehr denn je.
Ruh dich aus, Lilias, erhole dich.
Sie nickte in stiller Antwort und wusste, dass der Drache sie verstand. Unter ihrer Wange fühlte sie die nackte Haut von Pietres Brust, warm und voller Spannkraft. Welch berauschende Kraft lag in der Jugend! Lilias fühlte die tausend Jahre, die sie zählte. Man musste einen hohen Preis dafür bezahlen, wenn man den Tod betrog. Auch wenn es ihrem Fleisch nicht anzumerken war, fühlte sie es doch in ihren Knochen, jetzt wie nie zuvor. Hatte sie in ihrem Schmerz Haomanes Namen gerufen? Ja, und darin lag etwas Beängstigendes. Pietre raunte leise Zärtlichkeiten und schritt dahin, als trüge er etwas sehr Kostbares in seinen Armen. Ich sollte ihn gehen lassen, dachte Lilias. Ich sollte sie alle gehen lassen, bevor die Gefahr näher rückt. Aber ich bin alt, und ich habe Angst vor dem Alleinsein.
Calandor?
Ich bin hier, Lilias.
Das genügte. Es musste genügen. So war der Handel, den sie eingegangen war, vor über tausend Jahren. Und immer, immer hatte er Bestand gehabt. Solange das der Fall war, zählte nichts anderes. Die Sache war begonnen, die Würfel gefallen. Warum dann diese Vorahnungen?
Calandor?
Lilias, du musst dich ausruhen.
Calandor, wo sind die Männer von Fürst Satoris?
»Nun denn.« Carfax ließ ein kühnes Auge über seine Männer schweifen. »Vilbar, reib dir noch mal das Gesicht ab. Nimm Sumpfwurzeln, wenn es sein muss. Du bist immer noch ganz fleckig von dem Färbemittel.«
»Das Flusswasser stinkt, Hauptmann!«
»Das ist mir egal«, erwiderte er hart. »Reib es ab! Turin,
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