Elena - Ein Leben für Pferde
»Wenn Papa davon erfährt, wird er stinksauer.«
»Wie soll er es erfahren, wenn du es ihm nicht petzt?« Ich rieb meinen Arm. Das würde sicher einen fetten blauen Fleck geben. »Außerdem hat Tim uns nur zum Dank dafür, dass ich eben eines von seinen Pferden eingefangen habe, eine Cola ausgegeben.«
»Wie kommst du dazu ...«, brauste Christian sofort wieder auf.
»Das Pferd rannte auf dem Parkplatz herum«, unterbrach ich ihn. »Es hatte nicht im Gesicht stehen, dass es eins von Jungbluts Pferden ist, okay?«
Weil Melike Christian half und der Aknefrosch allein klarkam, hatte ich nichts zu tun. Papa hatte in dieser Prüfung kein Pferd zu reiten, denn das M-Springen war nur für Reiter der Leistungsklassen drei und vier ausgeschrieben. Die besseren Reiter waren nicht startberechtigt. Ich fand Papa mit ein paar anderen Reitern auf der Tribüne und setzte mich neben ihn.
»Wann ist Christian dran?«, fragte er mich.
»Achter. Melike und Jens sind bei ihm.«
»Na, dann gehe ich mal nach ihm schauen. Kommst du mit?«
»Nee, ich bleib hier.«
Papa erhob sich und machte sich auf den Weg in die Abreitehalle. Ich verspürte einen leisen Stich der Eifersucht. Wenn ich mit Sirius auf einem Turnier startete, kam es nur äußerst selten vor, dass er mir überhaupt zuschaute. Meistens fuhr nur Mama mit mir hin. Bei Christian dagegen war Papa immer dabei, baute die Sprünge auf dem Abreiteplatz für ihn rauf und runter, gab ihm Tipps und ging mit ihm den Parcours ab.
»Na, und du bist zum Zuschauen mitgekommen?« Einer der anderen Reiter drehte sich mit einem gönnerhaften Grinsen zu mir um.
»Zugucken und Daumendrücken.« Sein Nachbar zog an seiner Zigarette. »Das Beste, was kleine Mädchen machen können.«
»Ab und zu darf ich mal ein Pferd festhalten«, entgegnete ich schnippisch. »Aber nur ein ganz braves!«
Die Reiterin im Parcours gab gerade nach vier Abwürfen und zwei Verweigerungen ihres Pferdes auf.
»Die Weiber haben einfach keinen Mumm, wenn’s mal etwas höher wird«, kommentierte einer der Reiter. »Dabei ist das ein echt guter Gaul. Der hat ihren Vater ein Vermögen gekostet.«
»So einen könnte ich brauchen«, bemerkte ein anderer. »Noch ein paar solche Runden und das Pferd ist sauer.«
»Und dann ist es ein Fall für deinen Papa, was?«, wandte sich einer der Reiter an mich. »Der ist ja ein Spezialist dafür, solche Sauerkocher wieder zum Laufen zu bringen.«
Die anderen lachten. Ich begann innerlich zu brodeln und hätte ihnen am liebsten die Zunge rausgestreckt, aber das erschien mir dann doch zu kindisch. Mit einem Ohr hörte ich zu, wie Papas Reiterkollegen über Mädchen lästerten, die M- und S-Springen ritten. Tatsache war, dass die Starterfelder in A- und L-Springen beinahe zu achtzig Prozent aus Mädchen bestanden; in schweren Springen waren allerdings kaum noch Reiterinnen zu finden.
Ich sah Melike durch die leeren Reihen der Tribüne gehen und winkte ihr zu. An einem Vormittag zog es nur wenige Zuschauer auf ein Turnier, die meisten kamen erst abends zu den schwereren Springprüfungen. Melike ließ sich neben mir auf die Bank fallen.
Im gleichen Moment kam Christian in die Bahn getrabt und parierte seine Stute vor dem Richterturm durch. Während er grüßte, sah er sich noch einmal im Parcours um. Papa hatte ihm sicherlich Ratschläge gegeben, wo er abkürzen und dadurch Zeit einsparen konnte.
Die Glocke ertönte zum Zeichen, dass der Start frei war, und Christian begann seinen Ritt sehr schnell und sicher. Die braune Oldenburger Stute Ronalda war mit ihren dreizehn Jahren ein routiniertes Springpferd. Nach dem Oxer Nummer sechs waren bisher alle Reiter mit vier Galoppsprüngen zur darauf folgenden Kombination geritten, aber Christian versuchte es mit drei Galoppsprüngen. Er und seine Stute waren ein eingespieltes Team und meisterten diesen kritischen Moment fehlerfrei. Wie nicht anders erwartet, ging Christian in Führung.
»Super!« Melike klatschte erfreut in die Hände.
Ich sagte nichts, aber insgeheim hätte ich meinem Bruder von Herzen einen oder zwei Fehler gegönnt. Die Reiter in der Reihe vor uns hatten offenbar genug vom Thema »Mädchen im Springsport« und sprachen über einen Pferdediebstahl in Harlingen. Letzte Woche war eine tragende Stute aus dem Stall eines Pferdezüchters gestohlen worden, und vierzehn Tage zuvor war ein Junghengst, der für die Körung vorbereitet werden sollte, in Leidersdorf spurlos aus dem Stall verschwunden.
Ich erinnerte
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