Elena - Ein Leben für Pferde
mich dunkel daran, dass Mama darüber in der Zeitung gelesen und Papa davon erzählt hatte. Sie machte sich Sorgen, weil Harlingen und Leidersdorf nur ein paar Kilometer von Steinau entfernt waren.
»Wie soll den jemand Fremdes nachts bei uns auf den Hof kommen?«, hatte Papa nur entgegnet. »Wir schließen jeden Abend die Tore ab und der Hund läuft in den Ställen herum.«
Die Anwesenheit von Robbie hatte Mama etwas beruhigt. So gutmütig der Hund tagsüber war, nachts duldete er keinen Fremden auf dem Hof. Schon öfter hatten uns Einsteller, die spät vom Turnier nach Hause kamen, zu Hilfe gerufen, weil sie sich nicht in den Stall trauten.
Melike und ich sahen uns das Springen an. Christian lag weiterhin in Führung. Als vorletzter Starter kam Tim in die Bahn.
»Das ist das Pferd, das du vorhin eingefangen hast«, sagte Melike.
»Hm«, murmelte ich nur. Ich spitzte die Ohren, weil die Reiter vor uns jetzt über Tim sprachen.
»Ein ganz großes Talent, der Junge«, sagte einer der Männer. »Würde mich nicht wundern, wenn er das Springen gewinnt.«
»Der reitet schon eine Klasse besser als die anderen hier«, stimmte ihm ein anderer zu. »Kein Wunder, er muss schließlich zu Hause alle Pferde reiten, weil der Richard ständig unterwegs ist. Und das mit fünfzehn Jahren!«
Aha. Äußerst interessant. Hatte Tim vielleicht deshalb nie eine Freundin, weil er einfach keine Zeit hatte? Begierig nach mehr Informationen über Tim Jungblut beugte ich mich vor, aber die Männer sagten nichts mehr, sondern verfolgten schweigend Tims Ritt. Und der war gut. Flüssig und ohne Umwege lenkte er das Pferd über den ziemlich anspruchsvollen Parcours und schaffte es, eine Sekunde schneller als Christian zu sein.
»Ach, schade«, sagte Melike neben mir enttäuscht, aber ich grinste stumm in mich hinein. Das geschah Christian nur recht!
Wir standen auf, gingen hinunter und lehnten uns neben dem Einritt an die Bande. Der letzte Starter hatte zwei Fehler, damit hatte Tim das Springen gewonnen.
Ein großer Traktor tuckerte in die Bahn, um den Sandboden glatt zu ziehen. Einige Helfer bauten mit großem Gepolter die Hindernisse um. Die wenigen Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen und gingen in das Zelt, um in der Pause bis zum nächsten Springen etwas zu essen oder zu trinken. Eine Siegerehrung in einem Nachmittagswettbewerb war immer etwas würdelos, fand ich. Kaum einer blieb da, um dem Sieger und den Platzierten zu applaudieren.
Melike und ich sahen zu, wie die platzierten Reiter mit ihren Pferden in die Halle einritten, um ihre Schleifen in Empfang zu nehmen. Christian zog ein grimmiges Gesicht und blickte starr und wütend geradeaus. Ausgerechnet Tim Jungblut hatte ihm die goldene Schleife weggeschnappt!
Tim ließ sein Pferd am langen Zügel gehen und ritt hinter meinem Bruder her. Unsere Blicke trafen sich, und plötzlich lächelte er und zwinkerte mir zu. Schon das zweite Mal heute! Ich blickte schnell weg, aber mein Herz klopfte wie verrückt.
»Puh«, dachte ich. »Der ist wirklich süß …«
6. Kapitel
Um achtzehn Uhr begann dann das S-Springen. Für die zweite Qualifikation der großen Tour hatten sich zweiundvierzig Reiter in die Starterliste eingetragen. Papa war im Stress, denn er hatte drei Pferde am Start: zuerst Cornado, dann Intermezzo und als drittes Pferd Mister Magic.
Mama war zusammen mit Opa gekommen und ging in die Gaststätte, um von dort aus zusammen mit Bödickers, den Besitzern von Cornado und Intermezzo, durch die großen Glasscheiben das Springen zu verfolgen, aber Melike und ich zogen es vor, draußen auf der Tribüne zu sitzen.
Papa gelang mit Cornado ein Null-Fehler-Ritt, einige Reiter nach ihm waren allerdings schneller als er. Intermezzo bekam einen Springfehler beim Aussprung aus der dreifachen Kombination.
Wir schlenderten durch die Halle hinüber zur Abreitehalle und sahen Papa zu, wie er Mister Magic für das Springen abritt. Insgeheim hielt ich Ausschau nach Tim, aber offenbar waren er und sein Vater nach dem M-Springen am Nachmittag schon gefahren.
»Am Start ist die Nummer 263, Mister Magic!« Die Stimme des Ansagers schallte aus den Lautsprechern, die unter der Hallendecke befestigt waren. »Im Sattel Michael Weiland vom Reitverein Steinau.«
Ich stand neben Melike, Christian und Jens auf der Tribüne oberhalb der Einreiteschneise. Wie immer, wenn Papa in den Parcours ritt, war ich schrecklich aufgeregt und drückte ihm beide Daumen. Ich sah gespannt zu, wie er nun
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