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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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das Trinkwasser für das Lager wurde von einer viele Meilen entfernten Quelle geholt, weswegen der Dauer- befehl galt, sich zurückzuhalten. Die meisten Unteroffi- ziere waren selbst durstig genug, um den Befehl großzü- gig auszulegen, aber Reece nahm ihn sich zu Herzen. »Wenn ihr Männer sonst nix vom Soldatenberuf lernt«, sagte er, »Wasserdisziplin werdet ihr lernen.« Das Wasser hing in Lister-Säcken – pralle Euter aus Leinwand – in regelmäßigen Abständen an den Straßen, und obwohl es warm war und ätzend nach Chemikalien schmeckte, war der Höhepunkt jeden Vormittag und jeden Nachmittag der Moment, wenn uns eine Pause vergönnt war, um unsere Feldflaschen zu füllen. Die meisten Züge nahmen einen Lister-Sack mit drängelnder, verschwenderischer Hektik in Angriff und bearbeiteten seine kleinen stähler- nen Zitzen, bis der Sack schlaff und faltig herunterhing und sich im Staub darunter ein dunkler Fleck verschüt- teten Wassers ausbreitete. Nicht so wir. Reece war der Ansicht, daß eine halbvolle Feldflasche für jeden von uns genug war, und er stand neben dem Lister-Sack, über- wachte uns grimmig und ließ uns in ordentlichen Zweier- reihen davortreten. Wenn ein Mann seine Feldflasche zu lang unter den Sack hielt, unterbrach Reece, zog den Mann aus der Reihe und sagte: »Schutt es aus. Alles.«
     »Ich will gottverdammt sein, wenn ich das tue!« wider- sprach D'Allessandro ihm eines Tages, und wir standen fasziniert daneben und sahen zu, wie sie sich in der sen- genden Hitze finster anstarrten. D'Allessandro war ein stämmiger Junge mit wilden schwarzen Augen, der in den wenigen Wochen zu unserem Sprecher geworden war; ich glaube, er war der einzige, der mutig genug war, so eine Szene zu machen. »Wofür halten Sie mich«, rief er, »für ein gottverdammtes Kamel, so wie Sie?« Wir kicherten.
     Reece forderte Ruhe von uns, bekam sie, wandte sich blinzelnd wieder D'Allessandro zu und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »In Ordnung«, sagte er ruhig, »trink es. Alles. Ihr andern bleibt weg von dem Sack und faßt eure Feldflaschen nicht an. Ich möchte, daß ihr zuschaut. Na los, trink.«
     D'Allessandro grinste nervös triumphierend und be- gann zu trinken, hielt nur inne, um Luft zu holen, wäh- rend das Wasser auf seine Brust tropfte. »Trink«, fuhr Reece ihn jedes Mal an, wenn er die Flasche absetzte. Wir wurden vom Zuschauen wahnsinnig durstig, andererseits begannen wir langsam zu begreifen. Als die Feldflasche leer war, befahl Reece ihm, sie erneut zu füllen. Er tat es, noch immer lächelnd, aber ein wenig besorgt. »Und jetzt trink wieder«, sagte Reece. »Schnell. Schneller.« Und als er ausgetrunken hatte und keuchte, die leere Feldflasche in der Hand, sagte Reece: »Jetzt nimm deinen Helm und dein Gewehr. Siehst du die Kaserne dort drüben?« In ein paar hundert Meter Entfernung schimmerte ein weißes Gebäude. »Du wirst im Schnellschritt zu der Kaserne marschieren, sie umrunden und im Schnellschritt zurück- kommen. Deine Kumpel werden hier auf dich warten; keiner von ihnen wird was zu trinken kriegen, bis du zurück bist. Also gut, marsch. Marsch. Im Schnellschritt.«
     Aus Loyalität gegenüber D'Allessandro lachte keiner von uns, aber er sah wirklich absurd aus, wie er mit wak- kelndem Helm schwerfällig über den Exerzierplatz trot- tete. Bevor er bei der Kaserne ankam, sahen wir, wie er stehenblieb, in die Hocke ging und das Wasser erbrach. Dann torkelte er weiter, eine winzige Gestalt im weit ent- fernten Staub, verschwand hinter dem Gebäude, tauchte schließlich auf der anderen Seite wieder auf und machte sich auf den langen Rückweg. Endlich war er zurück und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. »Und?« sagte Reece leise. »Genug getrunken?« Erst jetzt durften wir anderen jeweils zu zweit an den Wassersack. Als wir fertig waren, ging Reece behende in die Hocke und füllte seine Feld- flasche zur Hälfte, ohne einen Tropfen zu verspritzen.
     Diese Art Sachen machte er jeden Tag, und wenn je-
    mand die Ansicht vertreten hätte, Reece würde nur seine Arbeit tun, hätten wir mit einem einstimmigen, verächt- lichen Schnauben geantwortet.
     Ich glaube, den ersten kleinen Sprung bekam unsere Feindschaft ihm gegenüber ziemlich früh während der Grundausbildung, eines Morgens, als einer der Ausbilder, ein strammer Oberleutnant, versuchte, uns den Umgang mit dem Bajonett beizubringen. Wir waren uns einiger- maßen sicher, daß uns in dem großen modernen

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