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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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Krieg, für den wir bestimmt waren, wahrscheinlich nicht befoh- len würde, mit dem Bajonett zu kämpfen (und wenn doch, würde es nicht gerade viel ändern, wenn wir die Feinheiten von Stoß und Parade nicht beherrschten), und deshalb war unsere Lustlosigkeit an diesem Morgen noch ungetrübter als gewöhnlich. Wir ließen den Ausbilder reden, standen anschließend auf und stolperten durch die diversen Stellungen, die er vorgeführt hatte.
     Die anderen Züge machten es genauso schlecht wie wir, und angesichts dieser betrüblichen Inkompetenz in der ganzen Kompanie fuhr sich der Ausbilder über den Mund. »Nein«, sagte er. »Nein, nein, ihr habt es über- haupt nicht begriffen. Geht zu euren Plätzen und setzt euch. Feldwebel Reece, vortreten bitte.«
     Reece saß wie üblich in einem kleinen gelangweilten Kreis mit den Feldwebeln der anderen Züge zusammen, abseits des Unterrichts, aber er stand sofort auf und ging nach vorn.
     »Feldwebel, bitte zeigen Sie den Männern, worum es beim Bajonett geht«, sagte der Ausbilder. Und in dem Augenblick, als Reece ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett in die Hand nahm, wußten wir, ob es uns nun paßte oder nicht, daß wir etwas zu sehen bekommen würden. Es war das gleiche Gefühl wie bei einem Base- ballspiel, wenn ein starker Schlagmann einen Schläger aussucht. Auf die Befehle des Ausbilders hin nahm er zackig jede Stellung ein, erstarrte zu einer schlanken Statue, während der Ausbilder sich duckte, um ihn herumging, redete, auf die Verteilung des Gewichts und die angewin kelten Gliedmaßen hinwies und erklärte, daß es genau so richtig war. Und dann ließ er als Höhepunkt der Vorstel- lung Reece den gesamten Bajonettkurs durchlaufen. Und er absolvierte ihn schnell, geriet nie aus dem Gleich- gewicht, machte keine überflüssigen Bewegungen, stieß mit dem Gewehrlauf Holzblöcke von hölzernen Schul- tern, trieb das Bajonett tief in einen schaudernden Torso aus zusammengebundenem Reisig und riß es wieder her- aus, um den nächsten damit zu attackieren. Er sah gut aus. Es wäre übertrieben, würde ich behaupten, daß er unsere Bewunderung erregte, aber wenn man dabei zu- sieht, wie etwas gut gemacht wird, bereitet es automa- tisch Vergnügen. Die anderen Züge waren sichtlich beein- druckt, und obwohl niemand in unserem Zug etwas sagte, glaube ich, daß wir ein bißchen stolz auf ihn waren.
     Die nächste Ausbildungseinheit an diesem Tag war Drill für geschlossene Ordnung, und hier hatten die Feld- webel das volle Kommando, und innerhalb einer halben Stunde hatte Reece uns so getriezt, daß wir ihn wieder haßten. »Was zum Teufel glaubt er«, murrte Schacht in der Mannschaft, »daß er jetzt der Größte ist, nur weil er ein As mit dem dämlichen Bajonett ist?« Und wir schäm- ten uns, daß wir uns beinahe von ihm hätten vereinnah- men lassen.
     Als wir schließlich doch unsere Meinung über ihn änderten, war es nicht aufgrund einer besonderen Tat sei- nerseits, sondern aufgrund einer Erfahrung, die unsere Meinung über die Armee im allgemeinen und uns selbst veränderte. Es war auf dem Schießstand, der einzige Teil unserer Ausbildung, der uns wirklich Spaß machte. Nach den vielen Stunden des Drills und der Körperertüchti- gung, den eintönigen Unterrichtsstunden in der Sonne und den Trainingsfilmen in schwülen Bretterbuden war die Aussicht, tatsächlich rauszugehen und zu schießen, vielversprechend, und als es soweit war, machte es tat- sächlich Spaß. Es war ein Gefühl großer Freude, flach auf dem Damm der Feuerlinie zu liegen, den Gewehrschaft an der Backe zu spüren und die öligen glänzenden Pa- tronenrahmen in der Nähe zu sehen, über eine große Distanz hinweg das Ziel anzuvisieren und auf das Signal der gemessenen Stimme aus dem Lautsprecher zu war- ten. »Fertig auf der Rechten. Fertig auf der Linken. Fer- tig auf der Feuerlinie... Die Flagge ist aufgezogen. Die Flagge flattert. Die Flagge ist eingeholt. Achtung – Feuer !« Es folgten die Explosionen vieler Schüsse, der atemlose Augenblick des Abdrückens und der heftige Rückstoß, als der Schuß losging. Dann entspannte man sich und sah zu, wie in der Ferne die Zielscheibe nach unten glitt, kon- trolliert von unsichtbaren Händen in dem Graben darun- ter. Wenn sie kurz darauf wieder auftauchte, wurde zu- dem eine farbige Scheibe hochgehalten, geschwenkt und zurückgezogen, mit der die Punktzahl signalisiert wurde. Der Mann, der hinter einem kniete und das Ergebnis notierte,

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