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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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zuviel Bier intus. Darf ich mal deine Tolette benutzen?«
     Als er aus dem Badezimmer zurückkehrte, stand sie, die Arme wie wärmesuchend über der Brust verschränkt, schon da, um ihm gute Nacht zu sagen. Liebevoll nahm er die Reisetasche auf und kam zu ihr an die Tür. »Okay, Schatz, also dann«, sagte er und gab ihr einen Kuß. »Um neun. Aber nich' vergessen.«
     Sie lächelte müde und öffnete ihm die Tür. »Keine Sor- ge, Ralph«, sagte sie. »Ich werd' da sein.«

Jody läßt die Würfel rollen

    Feldwebel Reece war ein schlanker stiller Mann aus Ten- nessee, der in Drillich immer sauber aussah, und er war nicht gerade so, wie wir es von einem Feldwebel eines Infanteriezugs erwarteten. Bald hatten wir heraus, daß er ein typisches Exemplar – nahezu ein Prototyp – der Män- ner war, die in den dreißiger Jahren in die Armee einge- treten, geblieben und während des Kriegs zu den Kadern in den großen Ausbildungslagern gestoßen waren, aber zu Beginn war er eine Überraschung für uns. Wir waren ziemlich naiv, und ich glaube, daß wir so etwas wie einen Victor McLaglen erwartet hatten – stämmig, laut und hart, aber liebenswert, in der Tradition Hollywoods. Reece war hart, das ja, aber er wurde nie laut, und wir liebten ihn nicht.
     Er brachte uns am ersten Tag gegen sich auf, indem er unsere Namen metzelte. Wir waren allesamt aus New York, und unsere Namen verlangten nach ein bißchen Anstrengung, aber Reece machte ein Mordstheater dar- aus, vor ihnen zu kapitulieren. Er verzog das schmale Ge- sicht über der Namensliste, sein kleiner Schnurrbart zuckte bei jeder unbekannten Silbe. «Dee ... Dee Alice ...«, stam- melte er. »Dee Alice...«
     »Hier«, sagte D'Allessandro, und so ging es weiter bei fast allen Namen. Nachdem er sich mit Schacht, Sciglio und Sizscovicz herumgeschlagen hatte, kam er zu Smith. »He, Smith«, sagte er und blickte mit einem trägen, un- verbindlichen Grinsen auf. »Was zum Teufel machst'n du hier unter den ganz'n Gangstan?« Niemand fand das lustig. Schließlich war er fertig und schob sich das Klemm- brett unter den Arm. »Also gut«, sagte er. »Mein Name is' Fellwebel Reece, und ich bin der Fellwebel von euerm Zug. Das heißt, wenn ich sag', tut irgendwas, dann tut ihr es.« Er starrte uns lange und durchdringend an. »Zug!« schnarrte er, und sein Zwerchfell hüpfte. »Aach – tung!« Und seine Tyrannei begann. Am Ende dieses Tages und vieler folgender Tage stand für uns fest, daß er, um D'Allessandros Ausdruck zu benutzen, ein blöder Süd- staatenidiot war.
     Ich sollte darauf hinweisen, daß auch wir wahrschein- lich nicht gerade liebenswert waren. Wir waren acht- zehn Jahre alt, ein konfuser, zuggroßer Haufen von Stadt- jungen, entschlossen, uns nicht für die Grundausbildung zu begeistern. Apathie mag bei jungen Männern unseres Alters ungewöhnlich sein – auf jeden Fall ist sie wenig anziehend –, aber wir schrieben das Jahr 1944, der Krieg war nicht länger neu, und Bitterkeit war die modische Haltung. Das Leben in der Armee mit Elan aufzunehmen hieß, jemand zu sein, der keine Ahnung hatte, und das wollte keiner. Insgeheim mochten wir uns nach Kampf- getümmel sehnen oder zumindest nach Auszeichnungen, aber nach außen hin verhielten wir uns wie schamlose kleine Besserwisser. Aus uns Soldaten zu machen muß eine schweißtreibende Arbeit gewesen sein, und Reece trug die größte Last.
     Aber das war zu Beginn selbstverständlich nicht unsere Sicht der Dinge. Wir wußten nur, daß er uns hart ran- nahm, und wir haßten ihn wie die Pest. Von unserem Leutnant, einem dicklichen Collegestudenten, der hin und wieder auftauchte und darauf beharrte, daß er uns fair behandeln würde, wenn wir ihn fair behandelten, sahen wir wenig, und noch seltener bekamen wir den Befehlshaber unserer Kompanie zu Gesicht (ich erinnere mich kaum mehr, wie er aussah, außer daß er eine Brille trug). Aber Reece war immer da, ruhig und hochmütig. Er sprach nie, außer um Befehle zu geben, und er lächelte nur, wenn er uns grausam behandelte. Und wenn wir andere Züge betrachteten, wußten wir, daß er ungewöhn- lich streng war; so hatte er zum Beispiel seine eigene Methode, Wasser zu rationieren.
     Es war Sommer, und das Lager duckte sich unter der gleißenden Sonne von Texas. Nur ein großzügiger Vorrat an Salztabletten hielt uns bis zum Einbruch der Nacht bei Bewußtsein; unsere Kluft war stets weiß gefleckt vom Salz in unserem Schweiß, und wir hatten immer Durst, aber

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