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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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trottete. Wenn wir schmutzig und müde vom Schießstand zurückkehrten, die Ohren taub vom Lärm der Schüsse, stärkte es uns, wenn wir das letz- te Wegstück wieder im Gleichschritt marschierten, mit erhobenem Kopf und geradem Rücken, und die abküh- lende Luft mit unserem Antwortgebrüll durchschnitten.
    Nach dem Essen verbrachten wir einen guten Teil des
    Abends damit, unsere Gewehre mit der von Reece ge- forderten gründlichen Sorgfalt zu putzen. Während wir arbeiteten, füllte sich die Kaserne mit dem beißenden guten Geruch von Rohrreiniger und Öl, und wenn Reece mit uns zufrieden war, setzten wir uns für gewöhnlich draußen auf die Treppe, rauchten und warteten darauf, daß wir mit dem Duschen an der Reihe waren. Eines Abends war eine Gruppe von uns stiller als gewöhnlich, ich glaube, weil wir das übliche Gerede von Ungerechtig- keit und das Gejammer als unpassend, als dem merk- würdigen Wohlgefühl unangemessen empfanden, das wir während der letzten Tage verspürten. Schließlich faßte Fogarty die Stimmung in Worte. Er war ein kleiner ernster Junge, der Zwerg des Zugs und die Zielscheibe unserer Witze, und vermutlich hatte er nicht viel zu verlieren, als er die Deckung verließ. »Ach, ich weiß nich'«, sagte er und lehnte sich seufzend an den Türrahmen, »ich weiß nich', wie's euch geht, aber mir gefällt's – auf den Schieß- stand gehen, marschieren und so. Da hat man das Ge- fühl, daß man was wirklich Soldatisches tut, versteht ihr?« Er hatte da etwas gefährlich Naives gesagt – »solda- tisch« war Reeces Lieblingswort –, und wir blickten ihn unsicher an. Aber dann schaute sich D'Allessandro aus- druckslos in der Runde um, als wollte er denjenigen sehen, der es wagte zu lachen, und wir entspannten uns. Die Vorstellung, soldatisch zu sein, war achtbar gewor- den, und weil die Vorstellung und das Wort für uns un- trennbar mit Feldwebel Reece verbunden waren, wurde auch er achtbar.

    Bald hatte sich unser ganzer Zug verändert. Wir arbeite- ten jetzt mit Reece, statt gegen ihn, und bemühten uns, statt nur so zu tun, als würden wir uns bemühen. Wir wollten Soldaten sein. Das Ausmaß unserer Anstrengung mußte bisweilen lächerlich gewesen sein, und einen ge- ringeren Mann hätte sie vielleicht zu der Vermutung ver- anlaßt, wir würden uns über ihn lustig machen – ich erinnere mich an ernste kleine Chöre von »Jawoll, Feld- webel«, wann immer er einen Befehl erließ –, aber Reece nahm es mit unbewegter Miene hin, mit dem Ausdruck grenzenloser Selbstsicherheit, die die erste Voraussetzung guter Führerschaft ist. Und er war ebenso fair wie streng, was gewiß die zweite Voraussetzung ist. Wenn er zum Beispiel Gruppenführer ernannte, überging er kühl meh- rere Männer, die ihm nahezu die Stiefel geleckt hatten, um seine Anerkennung zu gewinnen, und entschied sich für die, von denen er wußte, daß wir sie respektierten – D'Allessandro gehörte dazu, und die anderen waren eben- sogut gewählt. Der Rest seines Rezepts war klassisch ein- fach: er führte, indem er vortrefflich war, ob er ein Ge- wehr putzte oder Socken zusammenlegte, und wir folgten ihm, indem wir versuchten, es ihm gleichzutun.
     Es ist leicht, Vortrefflichkeit zu bewundern, aber es ist schwer, sie sympathisch zu finden, und Reece weigerte sich, sympathisch zu sein. Es war seine einzige Fehllei- stung, aber es war eine große Fehlleistung, denn Respekt ohne Zuneigung überdauert nicht lange – zumindest nicht, wenn jugendliche Sentimentalität im Spiel ist. Reece ra- tionierte Freundlichkeit, wie er Wasser rationierte: unsere Freude über jeden Tropfen stand in keinem Verhältnis zu seinem Wert, aber wir bekamen nie genug oder auch nur annähernd genug, um unseren Durst zu stillen. Wir freu- ten uns, als er beim Appell unsere Namen plötzlich kor- rekt aussprach und die meisten seiner Maßregelungen nicht mehr so beleidigend klangen, denn wir wußten, daß er damit unser Reifen als Soldaten anerkannte, aber irgend- wie hielten wir uns für berechtigt, mehr zu erwarten.
     Wir freuten uns auch, als wir herausfanden, daß unser pummeliger Leutnant Angst vor ihm hatte; wir konnten kaum unser Vergnügen verhehlen über den verächtlichen Ausdruck, den Reeces Gesicht annahm, wann immer der Leutnant auftauchte, oder über den Tonfall des jungen Offiziers – unsicher, nahezu kleinlaut –, wenn er sagte: »Jawoll, Feldwebel.« Dann fühlten wir uns Reece in einem stolzen soldatischen Bund nahe, und ein- oder

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