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Elf Arten der Einsamkeit - Short stories

Titel: Elf Arten der Einsamkeit - Short stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Yates
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murmelte: »Netter Schuß«, oder »Bös daneben«, und man wand sich im Sand und nahm von neuem das Ziel ins Visier. Nichts anderes in der Armee stachelte den Instinkt, miteinander zu wetteifern, so an wie das Schie- ßen, und auch wenn wir nur besser als die anderen Züge abschneiden wollten, brachte es uns doch näher an einen echten esprit de corps als alles andere.
     Wir verbrachten ungefähr eine Woche auf dem Schieß- stand, marschierten frühmorgens hinaus und blieben den ganzen Tag; für das Mittagessen sorgte eine Feld- küche, und auch das war eine erfrischende Abwechslung von der Messe. Eine weitere Attraktion – anfänglich schien es die größte von allen – war, daß uns der Schießstand eine Verschnaufpause von Feldwebel Reece verschaffte. Er marschierte uns hinaus und wieder zurück, und er überwachte uns, wenn wir in der Kaserne die Gewehre putzten, aber für den größten Teil des Tages überantwor- tete er uns dem Personal des Schießstands, einem un- persönlichen freundlichen Haufen, dem es weniger um kleinliche Disziplin als um Treffsicherheit ging.
     Dennoch hatte Reece in den Stunden, wenn er den Befehl führte, reichlich Gelegenheit, uns zu schikanieren, aber nach ein paar Tagen auf dem Schießstand stellten wir fest, daß er lockerer wurde. Wenn wir jetzt zum Bei- spiel im Gleichschritt marschierten und zählten, mußten wir es nicht wieder und wieder tun, bis unsere trockenen Kehlen brannten, weil wir ununterbrochen »Eins, zwei, eins, zwei« brüllten. Wie die Feldwebel der anderen Züge ließ er uns nach ein-, zweimal aufhören, und zuerst wuß- ten wir nicht, was wir davon halten sollten. »Was ist los?« fragten wir uns verblüfft, aber ich glaube, daß wir es zum ersten Mal richtig machten, laut genug und absolut uni- sono schrien. Wir marschierten gut, und Reece ließ es uns auf diese Weise wissen.
     Der Weg zum Schießstand war mehrere Meilen lang, und ein gutes Stück führte durch den Teil des Lagers, in dem stramm marschiert werden mußte – wir bekamen erst Marscherleichterung, nachdem wir die letzten Kom- paniestraßen und -gebäude hinter uns gelassen hatten. Aber da wir jetzt so gut marschierten, machte es uns nahezu Spaß, und wir antworteten sogar begeistert auf Reeces Marschgesang. Es war seine Gewohnheit, mit uns, nachdem wir gezählt hatten, einen traditionellen Sing- sang anzustimmen, der eine im Chor gerufene Antwort erforderte, und bislang hatten wir das immer gehaßt. Aber jetzt schien der Singsang auf einzigartige Weise zündend, ein authentisches Stück Folklore aus älteren Heeren und älteren Kriegen, tief verwurzelt in dem Leben, das wir langsam zu begreifen begannen. Er setzte mit seinem üblichen nasalen Geschnarre »Links ... links ... links« ein und erweiterte es zu einer traurigen kleinen Melodie: »Oh, du hattest ein gutes Zuhause und gingst –«, worauf wir ant- worteten »RECHT SO!«, wenn wir mit dem rechten Fuß auftraten. Das kleine Lied durchlief mehrere Variationen:
     »Oh, du hattest einen gut Job, und du gingst –«
     »RECHT SO!«
     »Oh, du hattest ein hübsches Mädchen, und du gingst –«
     »RECHT SO!«
     Und dann variierte er die Melodie ein wenig. »Oh, Jody ließ die Würfel rollen, als du gingst –«
     »RECHT SO!« schrien wir in soldatischem Einklang, und keiner von uns mußte sich fragen, was die Worte bedeuteten. Jody war unser treuloser Freund, der ver- weichlichte Zivilist, dem der Würfel des Schicksals alles zuspielte, woran uns etwas lag; und die nächsten Stro- phen, eine Reihe spöttischer Verse, machten klar, daß er immer als letzter lachen würde. Wir konnten marschie- ren und schießen und das Glaubensbekenntnis diszipli- nierter Kriegsmacht perfekt beherrschen, aber Jody war eine Macht jenseits unserer Kontrolle, und dieser Tatsache mußten sich Generationen stolzer einsamer Männer wie Reece stellen, dieser ausgezeichnete Soldat, der neben uns in der Sonne marschierte und die Worte aus einem verzerrten Mund brüllte. »Hat kein' Sinn, nach Haus zu gehn – wirst weder Jody noch dein Mädchen sehn. Und –«
    »EINS, ZWEI!"
    »Und –«
    »EINS, ZWEI!«
    »Und immer wenn ihr darben müßt, Jody ein Stück
    Braten ißt Und –«
     »EINS, ZWEI!«
     »Und –«
     »EINS, ZWEI!« Wir waren nahezu enttäuscht, als er uns
    am Rand des Lagers Marscherleichterung gab und wir wieder zu Individuen wurden, unsere Helme zurückscho- ben, die großartige Einmütigkeit des Singsangs aufgaben und jeder vor sich hin

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