Elfenbann
Versuch.«
Laurel war wie erstarrt, da sie wusste, wie ernst er es meinte. Er dagegen missverstand ihre Regungslosigkeit und beugte sich vor, seine Hand an ihre Wange geschmiegt.
»Du hast mir gefehlt«, flüsterte er, sein Atem wehte über ihre Haut. Wider Willen seufzte Laurel leise, und als Tamani noch näher kam, schlossen sich ihre Augen fast wie von selbst.
»Es hat sich nichts verändert«, flüsterte sie. Ihre Gesichter berührten sich fast. »Ich habe meine Wahl getroffen.«
Seine Hand erstarrte, doch sie fühlte ein leichtes Zittern seiner Fingerspitzen. Er schluckte trocken, ehe er sich mit einem matten Lächeln von ihr löste.
»Entschuldige. Ich bin zu weit gegangen.«
»Was soll ich genau tun?«
»Das Gleiche wie immer.« Tamani zuckte die Achseln. »Je weniger du an deiner Routine änderst, umso besser.«
»Das meinte ich nicht«, sagte Laurel und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen.
Er schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich muss lernen damit umzugehen, nicht du.«
Laurel sah zu Boden.
»Das meine ich ernst«, sagte Tamani und legte noch mehr Abstand zwischen sie. »Du musst nicht nach mir Ausschau halten oder versuchen, dich in der Schule mit mir anzufreunden. Ich bin einfach da und so ist es gut.«
»Gut«, wiederholte Laurel und nickte.
»Kennst du die Wohnungen unten in Harding?«, fragte Tamani, erneut um einen lockeren Ton bemüht.
»Die grünen?«
»Genau, ich bin in Nummer sieben«, sagte er mit einem spielerischen Lächeln. »Für den Fall, dass du mich brauchst.«
Er ging zur Haustür und Laurel sah ihm einige Sekunden lang nach, ehe ihr die Wirklichkeit wieder bewusst wurde. »Tamani, halt!«, rief sie, sprang vom Stuhl und rannte in den Flur. »Untersteh dich, ohne Hemd aus der Tür zu gehen! Die Nachbarn sind schrecklich neugierig.« Als sie ihn am Arm festhielt, drehte er sich um und legte wie aus Instinkt seine Hand auf ihre. Dann starrte er auf ihre Finger, die sich blass von seiner olivfarbenen Haut abhoben, und wanderte mit dem Blick über ihre Hand, ihren Arm, ihre Schulter bis zu ihrem Hals.
Er schloss für einen Augenblick die Augen und holte tief Luft. Als er sie wieder öffnete, war seine Miene neutral. Er lächelte lässig, drückte ihre Hand und ließ sie los.
»Selbstverständlich«, sagte er. »Ich gehe hinten raus.«
Tamani ging zurück zur Küche und blieb noch einmal stehen. Er hob die Hand und berührte die Kette, die er ihr geschenkt hatte – ihren Setzlingsring an seinem silbernen Band. Er lächelte sanft. »Schön, dass du den Ring noch immer trägst.«
Drei
I n den nächsten Tagen fühlte sich Laurel in der Schule beinahe unerträglich unbehaglich; es machte sie verrückt, dass Tamani in ihrem Politik-Kurs saß und seine Teilnahme am Rhetorik-Kurs trieb David in den Wahnsinn. Chelsea dagegen würde sich wahrscheinlich viel mehr Sorgen um die Orks machen, die sich anscheinend noch immer in der Umgebung von Crescent City herumtrieben, wenn sie nicht so glücklich darüber gewesen wäre, dass noch ein zweiter Elf an der Del-Norte-Highschool war. Doch auch wenn er immer und überall dabei war, schenkte Tamani Laurel und ihren Freunden wenig Beachtung. Laurel, die es schon schön fand, wenn er ihr ab und zu heimlich zuzwinkerte oder sie anlächelte, wurde dadurch jedoch jedes Mal von Neuem an die Gefahren erinnert, die an jeder Ecke lauern konnten.
Andererseits nahm ihr Leben – Orks hin, Tamani her – seinen üblichen Lauf, seit sie wieder mit Hausaufgaben, Tests und Projekten konfrontiert war. Sie wollte nicht in ständiger Angst leben, sie wollte sich auf den Unterricht konzentrieren und ihr Leben genießen, und obwohl sie es nur ungern zugab, war für Tamani kaum Platz.
Sie wusste nicht, ob sie traurig darüber sein, ein schlechtes Gewissen haben oder doch daran verzweifeln
sollte. Unabhängig davon, wie viel Raum sie Tamani in ihrem Leben zugestand, wusste Laurel genau, dass für Tamani kaum etwas anderes zählte als sie. Er lebte dafür, sie zu beschützen, und hatte sie nie im Stich gelassen. Tamani hatte sie geärgert, enttäuscht, verletzt und zum Wahnsinn getrieben, aber er hatte sie nie im Stich gelassen.
Manchmal fragte sie sich, womit er sich beschäftigte, wenn er nicht in der Nähe war. Doch insbesondere nachmittags, wenn sie mit David auf dem Sofa kuschelte, zog sie es vor, nicht so genau Bescheid zu wissen. Mit David redete sie nicht darüber – selbstverständlich hatte sie ihn eingeweiht, aber sie waren sich schon lange
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