Elfenblut
Schneiderin als diese alte Kuh«, sagte Alica überzeugt. »Keine Bange. Ich wollte ja nur die Andeutung eines Ausschnitts machen und den Saum vielleicht hoch genug, um die Knöchel zu sehen. Großer Gott, gegen die Typen hier ist der Papst ja der reinste Porno-Star!«
»Übertreib es nicht«, seufzte Pia.
»Bestimmt nicht! Aber du könntest mir ein bisschen zur Hand gehen. Wir haben nicht mehr allzu viel Zeit. Wenn ich Brack richtig verstanden habe, dann dauert es nicht mehr lange, bis die ersten Gäste kommen.«
»Ich werde nicht als Bedienung arbeiten«, erinnerte Pia.
»Bist du da sicher? Ich habe nachgedacht, weißt du? Bis zum nächsten Vollmond sind es noch fast drei Wochen. Ich halte es zwar für eine Schnapsidee, aber meinetwegen sprechen wir eben wenigstens mit diesem Kuhtreiber.«
Pia drehte sich vom Fenster weg und sah sie fragend an.
»He, ich sage nicht, dass es eine gute Idee ist!«, wiederholte Alica hastig. »Aber irgendetwas müssen wir tun, oder? Es sei denn, es gefällt dir an diesem beschaulichen Fleckchen so sehr, dass du dich häuslich einrichten und deinen Lebensabend hier verbringen willst.«
Darauf antwortete Pia gar nicht.
»Dacht ich’s mir doch«, sagte Alica. »Also gut, Durchlaucht. Wenn Ihr Eurer unwürdigen Sklavin vielleicht einige Sekunden Eurer kostbaren Zeit schenken würdet, dann …«
»Hör mit dem Quatsch auf«, sagte Pia, und Alica fuhr vollkommen ungerührt fort:
»… würde diese vielleicht den Vorschlag machen, dass wir es einfach schrittweise angehen.«
»Wie meinst du das?«
»Wir treffen uns mit diesem sogenannten Mittelsmann«, antwortete Alica. »In achtzehn Tagen, genauer gesagt fünfzehn, wenn Valoren nicht gelogen hat und Vollmond hier dasselbe bedeutet wie bei uns. So oder so müssen wir irgendwie eine Weile durchhalten, oder? Und bis es so weit ist, nutzen wir die Zeit und versuchen möglichst viel über das herauszufinden, was hier wirklich vor sich geht.«
»Was hier vor sich geht?«
Alica machte ein beleidigtes Gesicht. »He, ich bin vielleicht nicht so schlau wie eine Elfenprinzessin, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ganz blöd bin«, sagte sie. »Sogar mir ist aufgefallen, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Es sei denn, die Stadtverwaltung von Rio hätte ganz unbemerkt ein paar wirklich drastische Umbauarbeiten durchgeführt.«
»Entschuldige«, sagte Pia. »Ich wollte nicht …«
»Geschenkt«, unterbrach sie Alica. Dann grinste sie. »Aber wenn Ihr Euer schlechtes Gewissen beruhigen wollt, Majestät, dann seid doch so überaus großmütig und schwingt Euren wohlgeformten Hintern hierher und helft mir, aus diesem Müll hier etwas zusammenzubasteln, das wenigstens Ähnlichkeit mit einem Kleid hat.«
Pia seufzte zwar innerlich (schneidern? Sie? ), setzte sich aber gehorsam neben Alica auf die Bettkante und griff zögernd nach den ausgebreiteten Stoffstreifen. Der Abfallstoff, den sie auf dem Markt erstanden hatten, war noch das ansehnlichste Stück. Alles andere – von dem sie vermutete, dass die Schneiderin es mitgebracht und in ihrem Zorn einfach nur vergessen hatte – eignete sich nach Pias Dafürhalten allerhöchstens, um Säcke daraus zu schneidern; wenn man es nicht besonders gut mit seinen Kartoffeln meinte. Und was das angefangene Kleid anging, das sie unordentlich zusammengeknüllt neben dem Bett auf dem Boden fand … nun, sie konnte Alicas Reaktion plötzlich ein bisschen besser verstehen.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Alica aufmunternd. »Das sieht schlimmer aus, als es ist. Mit ein bisschen gutem Willen und Fantasie kriegen wir das schon hin. Ich trenne es auf und schneidere es aus dem anderen Stoff nach … natürlich nicht genauso, keine Panik.«
Pia sah sie noch misstrauischer an. Wenn Alica sagte, sie solle sich keine Sorgen machen, dann war das im Allgemeinen schon Grund genug, sich zu sorgen …
»Ich dachte, du kannst nicht nähen«, sagte sie.
»Kann ich auch nicht«, antwortete Alica fröhlich. »Ich muss es nur nachmachen … na ja, und vielleicht das eine oder andere Detail ändern. Hier könnte zum Beispiel ein Ausschnitt hin – nur ein ganz kleiner, züchtiger, keine Panik – und wenn wir hier und hier und da etwas wegnehmen, dann bekommt dieser Leichensack vielleicht sogar so etwas Ähnliches wie eine Taille. So schwer kann das doch gar nicht sein.«
Das klang so erschreckend optimistisch, dass Pias Sorge neue Nahrung bekam, doch sie reagierte nur mit einem leicht
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