Elfenblut
Pia harmlos.
»Man sollte sich die Männer der Stadtwache nicht zum Feind machen.«
»Du meinst, noch mehr, als ich es schon getan habe?« Pia lachte leise. »Ich wüsste nicht, wie.«
Lasar kam nicht dazu, irgendetwas zu erwidern, denn in diesem Moment flog die Tür des Weißen Ebers auf. Eine ebenso kleinwüchsige wie wohlbeleibte Frau schoss wie eine lebende Kanonenkugel heraus und hätte Lasar und sie um ein Haar über den Haufen gerannt. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, und als sie Pias angesichtig wurde, blitzte es in ihren Augen nur noch zorniger auf. Pia warf ihr einen verwirrten Blick hinterher, hob die Schultern und trat ein.
Gleich hinter der Tür wartete ein vollkommen aufgelöster Brack auf sie. Er rang verzweifelt mit den Händen, war aber so fassungslos, dass er kein einziges Wort herausbekam.
Es war auch nicht nötig.
»Alica?«, vermutete sie seufzend.
Brack nickte nur, und Pia ging mit schnellen Schritten an ihm vorbei und die Treppe hinauf.
Alica saß im Schneidersitz auf dem Bett, umgeben von einem Wust von Stoff, Spitzensäumen und kleineren Materialstückchen, Nadeln, Garnrollen und anderen Schneiderutensilien. Als Pia die Tür hinter sich zuschob, registrierte sie aus den Augenwinkeln eine Schere, die einen guten Zentimeter tief in dem harten Holz steckte. Sie fragte vorsichtshalber nicht, wie sie dorthin gekommen war.
»Was hast du mit der armen Frau gemacht?«, erkundigte sie sich stattdessen.
»Der Schneiderin?«, fragte Alica. »Jedenfalls nehme ich an, dass es die Schneiderin war, von der Brack gesprochen hat. Die Unterhaltung war ein bisschen einseitig, weißt du?«
Pia schluckte die scharfe Antwort hinunter, die ihr auf der Zunge lag, streifte stattdessen Umhang und Kopftuch ab und bedachte die Schere in der Tür mit einem zweiten und noch nachdenklicheren Blick. Sie war nicht sicher, ob sie überhaupt wissen wollte, was genau sich hier abgespielt hatte.
»Wenn du schon da stehst, dann mach dich nützlich und gib mir das Ding«, sagte Alica. »Ich fürchte, ich muss hier die eine oder andere kleine Korrektur vornehmen.«
Pia zog die Schere mit einiger Mühe aus der Tür, reichte sie ihr und bedachte das Durcheinander auf dem Bett mit einem zweifelnden Stirnrunzeln. Es sah nicht nach etwas aus, das einmal ein Kleid werden sollte, sondern einfach nur nach …
»Ja. Dasselbe habe ich auch gedacht, als ich gesehen habe, was die Alte mit diesem Stoff vorhatte«, sagte Alica bekümmert. »So etwas …« Sie tat so, als müsse sie nach den richtigen Worten suchen, ohne sie zu finden. » Por Deus! Was tragen die Leute hier für Sachen? In so einem … Sack würde ich nicht einmal freiwillig zum Schafott gehen!«
»In welcher Kleidung würdest du denn freiwillig aufs Schafott steigen?«, erkundigte sich Pia.
Alica schnitt ihr eine Grimasse, und Pia ging an ihr vorbei und trat ans Fenster. Die beiden Männer standen immer noch auf der anderen Straßenseite, aber ihrem heftigen Gestikulieren nach zu schließen, hatten sie aufgehört zu dösen und waren in einen handfesten Streit verstrickt. Vermutlich warfen sie sich jetzt gegenseitig vor, nicht richtig aufgepasst zu haben, dachte Pia amüsiert, nur für den Fall, dass Istvan doch von ihrem kleinen Ausflug erfuhr und sie sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben mussten.
»Die Leute hier haben ein Problem«, fuhr Alica fort.
»Dich?«
Alica ignorierte das. »Entweder haben hier alle schon krankhafte Angst vor Sonnenbrand, oder sie ekeln sich vor dem Anblick nackter Haut. Du hättest das Kleid sehen sollen, das sie für mich zusammenschneidern wollte! Völlig beknackt! Bloß keinen Quadratmillimeter Haut zeigen!«
»Es ist kalt hier«, gab Pia zu bedenken. »Da ist warme Kleidung ganz angemessen.«
»Das hier hat nichts mit warmer Kleidung zu tun«, behauptete Alica. »Das ist … krank! Und du hättest sehen müssen, wie sie ausgeflippt ist, als ich nur ein paar Kleinigkeiten ändern wollte!«
Pia konnte sich ziemlich gut vorstellen, was Alica unter ein paar Kleinigkeiten verstand. »Wir sollten uns vielleicht den Sitten und Gebräuche hier anpassen«, sagte sie vorsichtig.
»Ich laufe bestimmt nicht in so was rum!«
»Vielleicht finden wir ja einen goldenen Mittelweg.«
»Keine Angst, Prinzesschen«, spöttelte Alica. »Ich nehme ein paar kleine Änderungen vor, aber du musst nicht im Tanga rumlaufen. Lass mich nur machen.«
»Weil du ja eine so begnadete Schneiderin bist«, vermutete Pia.
»Jeder ist eine bessere
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