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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Spur zurück, dass ihr Bewacher einen hastigen Schritt zur Seite machte, wohl aus Angst, dass sie ihn ansonsten einfach über den Haufen rennen würde. Pia hätte sich um ein Haar ganz automatisch bei ihm entschuldigt, es gelang ihr aber, diesen Impuls im letzten Moment zu unterdrücken. Schließlich konnte man es mit dem guten Willen auch übertreiben.
    Sie war schon auf halbem Weg zurück zu Alica, als ihr Blick an einem großen, bunt und golden verzierten Zelt hängen blieb. Zunächst konnte sie nichts damit anfangen, aber dann erinnerte sie sich: Es war das Zelt, in dem sie gestern den nachgemachten Pegasus gesehen hatte. Neugierig (und davon überzeugt, dass ihr Schatten sie sowieso daran hindern würde) trat sie näher heran und stellte fest, dass der Eingang verschlossen war. Dahinter war kein Laut zu hören, doch sie erkannte Stallgeruch, und da war noch etwas: ein unsichtbarer Hauch, den sie weder spüren noch hören oder riechen konnte und der etwas tief in ihr zu berühren schien.
    Pia zog noch einmal prüfend an der Plane – sie war von innen verschlossen und bewegte sich nicht –, warf einen Blick über die Schulter zurück und stellte fest, dass ihr Bewacher augenscheinlich nichts gegen das hatte, was sie tat. Er stand einfach da, hatte sich auf seinenen Speer gestützt und versuchte, nicht im Stehen einzuschlafen.
    Sie zog noch einmal an der Plane, wartete vergebens auf irgendeine Reaktion und ging schließlich um das Zelt herum. Dahinter erwartete sie ein Anblick, der ihr auf sonderbare Weise trotz aller Fremdartigkeit vertraut vorkam: ein kleiner, halbrunder Platz, der von der Rückseite des Zeltes, zwei kleinen, an einfache Wohnwagen erinnernden Gefährten und einem etwas größeren Wagen gebildet wurde, auf dem sich ein aus schweren Eisenstäben bestehender Gitterkäfig erhob. Etwas bewegte sich darin, aber Pia konnte nicht genau erkennen, was es war. Alles war mit einer dünnen Schicht aus frisch gefallenem Schnee überpudert, und sowohl die Wagen als auch das halbe Dutzend stämmiger Ponys, das in ein paar Schritten Abstand angebunden stand, waren gerade eine Spur zu klein, um ihr nicht sofort das Wort niedlich zu entlocken. Von dem verkleideten Pferd von gestern war nichts zu sehen.
    Pia wollte schon kehrtmachen und zu Alica zurücklaufen, als ihr eine schmale Öffnung an der Rückseite des Zeltes auffiel; kein zweiter Eingang, sondern einfach eine beschädigte Stelle, die schlampig geflickt und vor langer Zeit wieder aufgegangen war. Sie ging hin, bückte sich vorsichtig hindurch und fand sich in fast vollkommener Dunkelheit wieder. Im ersten Moment sah sie rein gar nichts, aber sie hörte ein gedämpftes Schnauben, und der Stallgeruch, den sie schon draußen wahrgenommen hatte, war hier drinnen ungleich stärker; ein warmes Aroma nach Heu und Stroh und frischem Pferdemist, das nicht annähernd so unangenehm war, wie sie es sich vorgestellt hätte, hätte man es ihr beschrieben. Etwas bewegte sich in den Schatten vor ihr, und plötzlich war auch jenes sonderbare Gefühl von gerade eben wieder da, so als würde sie irgendetwas tief am Grund ihrer Seele berühren.
    Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und die Schatten flossen zu einem hellen Schemen zusammen. Pia spürte, dass sie angestarrt wurde, aber es war nichts Unangenehmes an diesem Gefühl. Nach einer Weile spürte sie nicht nur, sondern sah , dass sie aufmerksam angestarrt wurde, aus einem Paar sanfter rehbrauner Augen, das in ein weißes Pferdegesicht eingebettet war. Nur waren es keine Pferdeaugen. Das hieß, selbstverständlich waren es Pferdeaugen, und zwar die mit Abstand wunderschönsten, die sie jemals gesehen hatte, aber sie waren zugleich auch mehr, sehr viel mehr. Da war eine Klugheit, die weit über die eines Tieres hinausging, aber auch nicht die eines Menschen war, sondern … anders. Zarter. Verwundbarer.
    Ohne dass sie sich der Bewegung selbst bewusst gewesen wäre – geschweige denn etwas dagegen hätte tun können –, ging sie zu dem angebundenen Pferd hin und streckte die Hand aus, um dem Hengst über die Nüstern zu streicheln, wagte es jedoch nicht, die Bewegung auch wirklich zu Ende zu führen, weil sie irgendwie das Gefühl hatte, dass sie unangemessen gewesen wäre. Vielleicht weil im Blick des Hengstes noch mehr war, jetzt, als sie ihm aus der Nähe begegnete.
    Schmerz. Schmerz und eine unendlich tiefe Trauer, viel zu schlimm, als dass sie ihre Größe auch nur annähernd erfassen

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