Elfenblut
gemacht hätte.
»Und wenn es so wäre?«
Bevor sie etwas erwiderte, stand Pia auf und registrierte zufrieden das fast unmerkliche Zusammenzucken der Grauhaarigen, als sie sah, wie weit sie über ihr aufragte. »Dann würde ich bezweifeln, dass das die Wahrheit ist«, sagte sie.
Die Grauhaarige setzte zu einer wütenden Antwort an, doch bevor sie dazu kam, ging eine schmale Klappe hinter ihr in der Zeltplane auf, und ein schäbig gekleideter Mann trat ein. Er hatte ein verlebtes Gesicht und war ebenso groß wie die Grauhaarige klein, aber so dürr, dass Pia sich nicht gewundert hätte, hätte sie seine Knochen klappern gehört. »Gibt es ein Problem, Nani?«, fragte er.
»Das kannst du wohl sagen!«, schimpfte die Grauhaarige. Diese …«
»Gib acht, was du sagst, Nani«, unterbrach sie der Mann, wandte sich dann direkt an Pia und zwang sich zu einem wenig überzeugenden Lächeln.
»lch bin Kerenetat«, sagte er, »der Besitzer dieses Unternehmens. Was kann ich für Euch tun?«
»Mir dieselbe Frage beantworten, die ich deiner Frau schon gestellt habe.« Pia deutete auf den Hengst. »Woher kommt dieses Tier?«
»Flammenhuf?« Kerenetat tat geschmeichelt. »Nun, ich sehe, Ihr versteht etwas von Pferden«, sagte er. »Gefällt er Euch denn?«
»Das würde er zweifellos, wenn ihr ihn nicht fast zu Tode geschunden hättet«, antwortete Pia kühl.
»Ich bitte Euch!«, sagte Kerenetat. Nani gab ein abfälliges Geräusch von sich, und ihr Mann fuhr fort: »Diese Tiere sind sehr schwer zu halten, wie Ihr vielleicht wisst. Und mein Unternehmen wirft nicht genug ab, um eine große Koppel anzuschaffen oder einen Stall und eine Menge Pfleger.«
»Ein wenig Freiheit würde vielleicht schon genügen.« Flammenhuf wieherte leise und zustimmend, und Kerenetat fiel es nun sichtbar schwer, weiter die Fassung zu bewahren. Irgendwie gelang es ihm.
»Ich wüsste zwar nicht, was Euch das anginge«, sagte er, »aber dies hier ist Flammenhuf. «
Er schien zu erwarten, dass dieser Name Pia etwas sagte, was aber nicht der Fall war. Sie sah ihn nur weiter kühl an, und schließlich fuhr er fort: »Der echte Flammenhuf. Nicht irgendeine weiße Mähre, der jemand ein Paar künstlicher Flügel angeklebt hat! Wo sollte er hingehen?«
»Ich glaube, überall wäre besser als hier«, antwortete Pia.
»Er würde sofort wieder eingefangen oder gar getötet werden«, behauptete Kerenetat. »Und bei den meisten hätte er es nicht so gut wie bei Nani und mir!« Er machte ein seltsames Geräusch, das sich nicht besonders angenehm anhörte. »Und jetzt muss ich Euch bitten zu gehen. Wir haben noch viel zu tun, bevor die nächste Vorstellung beginnt.«
Pia schluckte alles hinunter, was ihr auf der Zunge lag, und verzichtete sogar darauf, ihrem ersten Impuls nachzugeben und den Kerl einfach in der Mitte durchzubrechen. Einen Moment lang starrte sie ihn einfach nur an. Dann tat sie etwas, von dem sie ziemlich sicher war, dass sie es später bereuen würde. Trotzdem spürte sie, dass es in diesem Moment das Richtige war: Bevor sie antwortete, wandte sie sich zum Ausgang und schlug die Plane zurück, sodass helles Licht ins Zelt drang. Kerenetats Augen wurden groß, und Nani sog fast entsetzt die Luft zwischen den Zähnen ein. Pia musterte die beiden kühl und nacheinander, dann schlug sie die Kapuze ihres Umhangs zurück, ließ ganz bewusst zwei oder drei weitere Sekunden verstreichen und löste dann auch den Knoten ihres Kopftuchs.
Diesmal gelang es weder Nani noch ihrem Mann, ein erschrockenes Keuchen zu unterdrücken.
»Ich fürchte, es wird keine weitere Vorstellung mehr geben«, sagte sie ruhig. »Ihr werdet dieses Tier auf der Stelle losbinden.«
Flammenhuf wieherte leise. Seine großen, schlaff herunterhängenden Flügel bewegten sich unruhig und verursachten dabei ein Geräusch, das ihr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Jetzt, bei Licht betrachtet, sah sie erst, in welchem bemitleidenswerten Zustand sich das Tier wirklich befand. So schlaff und kraftlos, wie seine Flügel zu Boden hingen, schien es kaum vorstellbar, dass diese Schwingen jemals in der Lage gewesen sein sollten, ein Tier dieser Größe in die Luft zu heben. Und der Schmerz, den sie in seinen Augen las, wurde für einen Moment zu ihrem eigenen und explodierte regelrecht. Sie empfand nichts als Kummer. Und das Gefühl eines unendlich großen Verlustes. Alles, was das Leben dieses Geschöpfes ausgemacht hatte, war ihm genommen worden. Es existierte
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