Elfenblut
den begonnenen Satz zu Ende.
Esteban warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, steckte den blutenden Daumen in den Mund und drehte den Dolch – mit der anderen Hand und deutlich mehr Respekt – herum, um damit über die Tischkante zu fahren. Die Klinge glitt so mühelos durch das steinharte Holz, wie das Kristallschwert des Fremden vorhin durch die Kehle des Schlägers, und hinterließ einen fünf Zentimeter tiefen Schnitt, so präzise, wie mit einem Laser ausgeführt. Esteban riss die Augen auf, betrachtete das Messer mit plötzlich noch größerem Respekt und legte es mit spitzen Fingern auf den Tisch zurück.
»Tut mir leid«, sagte Alvarez, als wäre das alles seine Schuld. »Aber das Ding ist wirklich scharf. Die meisten meiner Skalpelle sind nicht so gut.«
»Hm«, machte Esteban. Behutsam nahm er den Daumen aus dem Mund, betrachtete den immer noch heftig blutenden Schnitt – Pia erkannte erst jetzt, dass er bis auf den Knochen reichte; wahrscheinlich hatte Esteban Glück, seinen Daumen überhaupt noch zu haben – und griff schließlich mit der anderen Hand zu dem dreckigen Lappen, in den der Dolch eingewickelt gewesen war. Alvarez legte missbilligend die Stirn in Falten, als er den wenig sterilen Verband sah, zu dem er den Fetzen kurzerhand umfunktionierte, sparte sich aber jeden Kommentar. Stattdessen strich sein Blick mit unverhohlener Neugier über den Leinenbeutel auf dem Schreibtisch. Esteban klaubte ihn wortlos mit der unversehrten Hand von der Platte und ließ ihn beiläufig neben seinem Stuhl auf den Boden fallen, als wären nur schmutzige Socken darin.
»Vielen Dank auch, Doktor Alvarez«, sagte er. »Ich weiß zu schätzen, was Sie für Jesus getan haben. Schauen Sie in den nächsten Tagen einmal in ihren Briefkasten. Vielleicht finden Sie eine angenehme Überraschung vor.«
»Sollte ich nicht besser noch bleiben, bis der Krankenwagen …«, begann Alvarez.
»Nein«, unterbrach ihn Esteban. »Pia wird sich um Jesus kümmern, keine Sorge. Sie haben schon mehr getan, als ich von Ihnen erwarten kann. Es ist spät geworden. Machen Sie mein schlechtes Gewissen nicht noch schlechter. Ich weiß doch, dass Sie morgen früh rausmüssen, um sich um Ihre anderen Patienten zu kümmern.«
Alvarez wirkte verstört. Esteban und er waren vielleicht keine guten Freunde, aber sie kannten sich ein Leben lang, und bis vor zwei Sekunden hätte sich Pia nicht einmal vorstellen können, dass Esteban ihn rauswarf.
Aber nichts anderes hatte er gerade getan.
»Also dann … ja, Sie … Sie haben vermutlich recht«, murmelte der grauhaarige Arzt. Er fand seine Fassung wieder, wirkte aber immer noch verwirrt. »Ich muss sowieso noch zu einer Schwangeren.«
»Doch hoffentlich nichts Ernstes?«, fragte Esteban.
Alvarez lächelte nervös. »O nein, keine Angst. Der jungen Dame geht es prächtig. Und sie ist auch erst in einem Monat so weit. Das Problem ist eher der Vater. Wenn ich nicht aufpasse, dann stirbt er mir noch vor lauter Nervosität weg, bevor er seinen Sohn auch nur das erste Mal zu Gesicht bekommen hat.«
»Dann sollten Sie sich um ihn kümmern, Doktor.«
Alvarez sah nun eindeutig bestürzt aus – aber schließlich nickte er nur noch einmal abgehackt, fuhr auf dem Absatz herum und floh regelrecht aus dem Zimmer. Pia sah ihm verwirrt nach und wandte sich dann noch verwirrter an Esteban.
»Was war das denn?«
Er ignorierte die Frage, sah zuerst sie, dann den silbernen Dolch und dann wieder sie an, und das auf eine vollkommen veränderte Art; ein Blick, unter dem sich Pia mit jeder Sekunde unwohler fühlte.
»Was?«, fragte sie.
»Dieser seltsame Kerl, von dem du vorhin erzählt hast.« Esteban machte eine Geste auf den Dolch, hütete sich aber, ihm auch nur nahe zu kommen. »Es gibt ihn also wirklich.«
Pia war im ersten Moment so perplex, dass die Worte ein paar Sekunden brauchten, um überhaupt bis zu ihrem Bewusstsein durchzudringen. Sie hatte gedacht, er habe ihr geglaubt. Aber offensichtlich stimmte das nicht.
»Du hast also doch geglaubt, ich hätte mir das alles nur eingebildet«, sagte sie leise. Sie wollte vorwurfsvoll klingen, aber es gelang ihr nicht. »Oder dich belogen.«
»Und er hat nicht gesagt, wer er ist, oder was er von dir will?«, fragte Esteban, ihre Worte komplett ignorierend. Etwas … passierte mit ihm, das fühlte Pia. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, und auch in seinem Blick und seiner Körpersprache war absolut nichts Verräterisches, aber Pia kannte ihn einfach
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