Elfenblut
noch heftigeren Hüpfer. »Du wusstest es nicht! Aber du hättest es wissen müssen! Verdammt, wenn man schon eine Million klaut, sollte man sich vorher erkundigen, wem sie gehört!«
»Aber ich wusste es wirklich nicht!«, verteidigte sich Pia. Sie hasste sich beinahe selbst für den weinerlichen Klang ihrer Stimme, konnte aber nichts dagegen tun, und ihr war zum Heulen zumute. Die Peraltas waren vielleicht die kleinste der vier Mafia-Familien, die sich diesen Teil der Favelas untereinander aufgeteilt hatten, aber auch die mit Abstand gefürchtetste. »Ich wusste bis jetzt nicht einmal, dass sie überhaupt mit Drogen handeln! Ich dachte immer, sie hätten ihre Prinzipien, und dieses Dreckszeug gehört nicht dazu!«
»Haben sie auch«, antwortete Esteban. Er nahm eines der weißen Päckchen aus dem Beutel, drehte es einen Moment lang unschlüssig in der Hand und warf es dann zurück. »Sie arbeiten nur als Kuriere. Aber Kuriere in diesem Gewerbe haben im Allgemeinen das Problem, dass man sie für die Ware verantwortlich macht, die sie transportieren. Sie sind nicht gerade begeistert von der Vorstellung, knappe zwei Millionen einzubüßen. Von ihrem Ruf ganz zu schweigen.«
»Wir … ich … ich könnte es ihnen zurückgeben«, sagte Pia und kam sich selbst lächerlich dabei vor.
»So läuft das nicht, Kleines, und das weißt du auch«, antwortete Esteban sanft.
Natürlich wusste sie das. Es ging nicht nur um das Geld und die Drogenpäckchen. Sie würden Jesus und sie trotzdem umbringen. Mit einer der anderen Familien hätte sie – vielleicht – reden und irgendeine Lösung finden können, aber mit den Peraltas?
»Woher … weißt du überhaupt davon?«, fragte sie stockend. Ihr Mund war mit einem Mal so trocken, dass sie kaum noch sprechen konnte. Sie begann die Finger zu kneten und wünschte sich plötzlich, wieder acht Jahre alt zu sein und auf diesem Stuhl zu sitzen, um sich eine Gardinenpredigt von ihm anzuhören, weil sie den Nachbarsjungen verprügelt hatte.
»Du bist gut.« Esteban lachte, aber es klang nicht sehr amüsiert. »Jeder weiß davon. Schlechte Nachrichten haben Flügel, und die werden umso größer, je schlechter die Nachrichten sind. Die ganze Stadt spricht von nichts anderem als von den beiden Verrückten, die irre genug gewesen sind, der Peralta-Familie eine Drogenlieferung zu klauen – und auch noch drei ihrer Leute umzulegen.«
»Das waren wir nicht!«, sagte Pia hastig.
»Das glaube ich dir«, antwortete Esteban ernst. »Du bist keine Mörderin, und Jesus ist kein Mörder. Ich fürchte nur, das wird den Peraltas ziemlich egal sein. Es geht nicht um das Geld oder die Drogen. Es ist Blut geflossen. Und sie wollen Blut sehen. Du weißt, wie das Spiel läuft. Aber …«, er hob abwehrend die Hand, obwohl sie gar nicht vorgehabt hatte, ihm zu widersprechen, »… noch haben wir einen einzigen Vorteil. Außer Jesus und dir – und jetzt mir – weiß niemand, was wirklich passiert ist. Und solange das so bleibt, haben wir eine gute Chance, uns eine Geschichte auszudenken, an deren Ende ich nicht in die Verlegenheit komme, gutes Geld für einen Grabstein ausgeben zu müssen.«
Das würde er sowieso nicht, dachte Pia niedergeschlagen. Leute, die sich mit den Peraltas anlegten, hatten im Allgemeinen zwei Dinge gemeinsam: Sie waren ziemlich verrückt und sie pflegten spurlos zu verschwinden.
»Bist du sicher, dass Hernandez tot ist?«, fragte Esteban.
Die Verlockung, einfach Ja zu sagen, war groß. Sie wollte nichts lieber, als nicken und selbst daran glauben, aber sie konnte es nicht.
»Nein«, gestand sie. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er mit diesem seltsamen Kerl beschäftigt.«
»Euer geheimnisvoller Retter«, sagte Esteban. Er klang ein bisschen spöttisch, und Pia schoss einen so zornigen Blick in seine Richtung ab, dass er in einer erschrocken-abwehrenden Geste beide Hände hob. »Schon gut. Ich glaube dir ja. Und sei es nur, weil die Geschichte einfach zu verrückt klingt, um sie sich auszudenken.«
»Du meinst, so verrückt wäre nicht einmal ich, dir eine solche Geschichte aufzutischen?«, antwortete Pia. »Jesus hat ihn schließlich auch gesehen!«
»Ich sagte dir bereits, ich glaube dir«, versuchte Esteban sie zu beruhigen. »Auch wenn es mir schwerfällt … ein Irrer, der im Supermankostüm durch die Stadt läuft und für Ordnung sorgt, wo es die Polizei nicht kann oder will?« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte immer, so was gibt es nur im
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