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Elfenlord

Elfenlord

Titel: Elfenlord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brennan
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zwei genug geschmust habt.«
    »Kannst du uns hier herausführen?«, fragte Henry Lorquin.
    »Das muss er vielleicht gar nicht«, sagte Blue und blickte auf den Torbogen. »Das sieht nach Sonnenlicht aus.«
    »O ja«, sagte Henry und fragte sich vage, warum er nicht selbst darauf gekommen war. Er fühlte sich beschwingt, erhoben, als würden seine Füße einige Zentimeter über dem Boden schweben. Er ließ seinen Arm von ihrer Hüfte gleiten und rannte durch die Höhle, um die Lichtquelle zu finden. Er trat durch den Torbogen und blieb stehen. Er machte einen Schritt zurück und blieb wieder stehen.
    Ihm fiel die Kinnlade runter.
    »Lieber Gott!«, flüsterte Henry.
    Sekunden später war Blue neben ihm, dann Lorquin. Alle drei standen in dem Torbogen und starrten ins Licht.
    Nach einer langen Pause sagte Blue mit rauer Stimme: »Was ist das, Henry?«
    »Das ist ein Engel«, sagte er.

SIEBENUNDNEUNZIG
    H enry fühlte sich wie ein Stück Eisen vor einem Magneten. Er hatte schreckliche Angst, aber er trat einen kleinen Schritt vor. Die anderen mussten das Gleiche empfunden haben, denn sie schoben sich einfach blind mit ihm nach vorn. Das Wesen im Käfig ähnelte nichts, das er je gesehen hatte. Es war wie ein Mensch geformt, aber viel größer   – beinahe drei Meter hoch   – und musste sich krümmen,um in den Käfig zu passen. Es hatte Muskeln wie ein menschlicher Rumpf, aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon.
    Der Engel leuchtete. Jeder Quadratzentimeter seiner Haut fluoreszierte wie etwas, das unter ultraviolette Bestrahlung geriet. Aber darüber hinaus leuchtete er wie eine riesige Lampe und gab ein intensives, weißes Licht ab, das in den Augen schmerzte, wenn man zu lange hineinsah. Aber das war nicht einmal das Seltsamste. Das Seltsamste waren die Flügel.
    Henry hatte schon Engelflügel gesehen, sogar ganz viele. Seine Bücher waren voll davon, als sie für Kunstgeschichte gebüffelt hatten, und damals, als seine Mutter die Familie auf eine Besichtigungstour durch Englands Kathedralen schleifte, hatte er sie sogar in Marmor gehauen erblickt. Aber jene Flügel waren nichts im Vergleich zu diesen hier. Die Maler und Bildhauer hatten sich alle große, weiße, gefiederte, vogelähnliche Dinger vorgestellt, als ob Engel die entsprechenden Muskeln an den Schultern besäßen, um wie Adler zu fliegen. Die Flügel, die Henry jetzt erblickte, sahen überhaupt nicht so aus. Sie waren nicht gefiedert und sie waren nicht weiß. Auf eine merkwürdige Art schienen sie in Wirklichkeit gar nicht da zu sein.
    Henry blinzelte. Wie ein schimmernder Fächer voll strahlender Energie, die violett funkelte und sich krümmte wie das Nordlicht, streckten sich die Engelsflügel hinter ihm aus. Sie waren vermutlich das Schönste, was er in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Er war noch nie besonders religiös gewesen, aber diese Flügel umgab etwas, das ihn dazu brachte, niederknien und beten zu wollen.
    Mit Lorquin an ihrer Seite trat Blue noch einen Schritt vor und Henrys Drang zu beten verschwand im Nu. »Vorsicht!«, zischte er ihr in einer Art Flüstern zu, wie man es immer in der Kirche zu tun pflegt. Dann, als beide nicht darauf reagierten, sagte er scharf und lauter: »Geht nicht zunah ran!« Sein Magen verknotete sich. Aus irgendeinem Grund war er überzeugt, dass der Engel ganz genauso gefährlich war wie der Drache.
    Blue ignorierte ihn wie immer. Sie trug ein seltsam leeres Lächeln auf ihrem Gesicht und ihre Augen waren weit geöffnet. Lorquin sah noch merkwürdiger aus. Auf seinem Gesicht lag ein ekstatischer Ausdruck, aber seine Augen waren völlig leer. Gemeinsam traten sie noch einen Schritt vor, sodass sie jetzt nur noch einen Meter vom Käfig entfernt waren.
    Der Engel veränderte seine Stellung und die Energie, die von diesen merkwürdigen Flügeln ausströmte, floss nun nach draußen und hüllte Blue und Lorquin ein.
    »Blue!«, schrie Henry plötzlich aufgeschreckt.
    Blue verwandelte sich. Henry konnte zusehen, wie das geschah. Einen Wimpernschlag später war sie eine reife Frau, in ihrem Haar waren graue Strähnen und auf der Stirn zeigten sich deutlich die ersten Falten. Dann, einen Augenblick später, war sie bereits alt   – nicht so alt wie Pyrgus, damals, als Henry ihn auf Mr Fogartys Rasen erblickt hatte, sondern richtig alt, wie Mr Fogarty selbst oder Madame Cardui. Sie stand immer noch ganz aufrecht und da war auch die vertraute Andeutung einer gewissen Arroganz in der Neigung ihres Kopfes,

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