Elfensturm (Mithgar 04)
pochendem Herzen in die Höhe. Sie wusste zunächst nicht, wo sie sich befand, doch dann erkannte sie Aylis. »Es war die Sendung«, keuchte sie.
»Ich weiß.«
»Warum haben wir…«, Jinnarin hielt inne und kam wieder zu Atem. »Warum haben wir es nicht versucht?«, sagte sie schließlich.
»Wir werden es versuchen, aber jetzt noch nicht. Wir brauchen beide noch mehr Übung. Ich muss sicherer darin werden, Euch in Eurem Traum zu wecken, und Ihr müsst lernen, einen Traum wirklich zu beherrschen und Brücken zu bauen.«
Jinnarin seufzte bedrückt. »Ich glaube, ich bin jetzt so weit.«
Aylis spreizte die Hände. »Beim nächsten Mal, Jinnarin, versuchen wir es. Versprochen.«
Sie lagen Seite an Seite im Bett, die Magierin und der Elf. Sie nahm seine Hand, führte die Finger an ihre Lippen und küsste jeden einzeln. Er sah sie an und lächelte sanft. Plötzlich schüttelte sie den Kopf und schaute ihn durchdringend an.
»Was ist los, Aylis?«, fragte Aravan ein wenig besorgt.
Sie holte tief Luft und seufzte. »Ach, Liebster, ich bin in letzter Zeit in so vielen Träumen gewandelt, dass ich es manchmal schwierig finde, die Wirklichkeit von den Trugbildern des Geistes zu unterscheiden.«
Aravan nickte langsam und sagte dann: »Einmal, als ich auf dem Drachenschiff Wellenreiter als Navigator angeheuert hatte, schreckte Kapitän Raid verwirrt aus dem Schlaf, die Augen weit aufgerissen. Als ich ihn fragte, ob etwas nicht stimme, erzählte er mir von seinem Traum. Er sagte: ›Ich habe geträumt, ich wäre eine Biene und würde Honig sammeln. Der Traum war ungemein lebensecht. Ich hatte sechs Beine und zwei Flügel, und ich hatte keine Probleme, sie zu benutzen. Als ich so viel Nektar und Pollen gesammelt hatte, wie ich tragen konnte, flog ich auf direktem Weg zu dem hohlen Baum zurück, wo sich der Stock befand. Es wurde dunkel, und alle Bienen ruhten, auch ich. Und da bin ich hier auf der Wellenreiter aufgewacht und habe mich gefragt, ob ich ein Mensch bin, der geträumt hat, eine Biene zu sein, oder vielmehr eine schlafende Biene, die gerade träumt, ein Mensch auf einem Drachenboot zu sein.‹ Dann bewegte Raid die Glieder und warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob er Flügel hätte. Nachdem er nichts dergleichen entdecken konnte, sah er mich lange an und brach schließlich in Gelächter aus. Aber danach entwickelte er eine besondere Vorliebe für Blumen und suchte bei jeder Gelegenheit ihre Nähe.«
Aylis lachte, wurde dann aber ernst und nachdenklich. Schließlich sagte sie: »Vielleicht sind wir genau das – nichts als träumende Träumer, die in einem weit entfernten Gefilde schlafen und unser Leben hier träumen.«
Aravan lächelte. »Vielleicht, Chieran, aber in dem Fall würde ich nur wieder aufwachen wollen, wenn du auch dort bei mir wärst.« Er stützte sich auf einen Ellbogen, beugte sich herüber und küsste sie auf die Lippen. Dann nahm er ihre Hand und küsste ebenfalls ihre Finger. Schließlich ließ er den Blick seiner saphirblauen Augen auf ihrem Antlitz ruhen. »Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich halte das hier für die Wirklichkeit, Chieran, obwohl es mir eher wie ein wahr gewordener Traum vorkommt.«
Aylis zog ihn an sich und küsste ihn lange. Schließlich lagen sie wieder nebeneinander und hielten sich bei der Hand. Nach einer Weile murmelte sie: »Sie ist so weit, Liebster. Jinnarin hat alles gelernt, was ich sie lehren kann. Beim nächsten Mal, wenn sie die Sendung träumt, werde ich ihr folgen, und dann werden wir sehen, was wir gemeinsam herausfinden können.«
Aravan sagte nichts, obwohl er ihre Finger bei diesen Worten fester drückte. Sie lagen da und lauschten dem Wind und den Wellen und den knarrenden Tauen, während die Brotan westwärts segelte. Einige Zeit verstrich, bis schließlich auf Deck ein Ruf ertönte. Aravan schwang die Füße aus dem Bett und saß lauschend da, den Kopf auf die Seite gelegt. Wieder ertönte der Ruf. Augenblicke später klopfte es an die Tür seiner Kajüte. »Land, Herr Käpt’n«, ertönte die Stimme des Schiffsjungen. »Land in Sicht an Steuerbord.«
2. Kapitel
DAS NETZ
Winter, 1E9574-75
[Die Gegenwart]
»Jatus Träume waren – bis auf einen – alle seltsam und schön. Und viele waren wild und oft ziemlich unzüchtig«, sagte Jinnarin grinsend. »Das war schon ein Erlebnis. Ich habe gelacht und war verblüfft und manchmal auch verlegen.«
»Pft«, schnaubte Alamar. »Das kann ich mir vorstellen.« Der
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