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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ganzen Monat? Darüber hinaus gab es hier so etwas wie eine unausgesprochene Vereinbarung, nach der man so etwas unter sich regelte.
    Anderseits stand nicht einmal hier jeden Tag einLeinenbeutel mit Drogen und Bargeld im Gegenwert von zwei Millionen herum …
    Der Gedanke führte zu einem anderen. Pia drehte sich ohne große Hoffnung noch einmal herum und ließ ihren Blick über den verwüsteten Schreibtisch und das Chaos auf dem Fußboden daneben schweifen, und sie wurde nicht enttäuscht: Wer immer hier ermittelt hatte, hatte ganz eindeutig nicht viel vom Aufräumen gehalten – aber so schlampig, den Seesack liegen zu lassen, war er doch nicht gewesen. Der Leinenbeutel war verschwunden, und wo er gestanden hatte, befand sich nun nichts als ein weiteres Plastikschildchen mit einer aufgedruckten Zahl. Pia verspürte ein sachtes Bedauern, das ihr zugleich ziemlich absurd vorkam. Geld war nun wirklich das, was sie im Moment am allerwenigsten interessierte. Aber manche alten Reflexe ließen sich offensichtlich nicht so schnell ablegen.
    Manche Fragen anscheinend auch nicht.
    Warum um alles in der Welt war sie hier?
    Sie sah sich noch einmal aufmerksam in dem kleinen, heillos verwüsteten Zimmer um, entdeckte auch diesmal nichts Außergewöhnliches und machte ein paar ziellose Schritte, die sie um den schräg stehenden Schreibtisch herum und auf seine andere Seite führten. Weniger ihre Stiefel als vielmehr sie selbst schreckte instinktiv davor zurück, den Bereich zu betreten, wo sich die Fußbodenbretter von Estebans Blut dunkel gefärbt hatten, aber sie zwang sich trotzdem, weiterzugehen und den Schreibtisch noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Sie hatte ihn selten aus dieser Perspektive gesehen (eigentlich nie, wenn sie es genau bedachte), aber es gab auch nichts Besonderes zu sehen. Es gab nur eine einzige, breite Schublade, die nicht einmal ein Schloss hatte, aber mit demselben amtlichen Siegel verschlossen war wie die Tür.
    Pia brach es mit genauso wenigen Skrupeln auf wie das andere, öffnete die Schublade und sah genau das Durcheinander aus Notizzetteln, Büroklammern, Heftzwecken, trockenenTabakkrümeln, Prospekten, Bleistiften, leeren Batterien, zerknülltem Papier und zehntausend anderen Dingen, das sie erwartet hatte. Wenn Esteban eines zeit seines Lebens nicht gewesen war, dann ordentlich. Und wenn es in dieser Schublade irgendetwas von Interesse gegeben hatte, wie vielleicht ein Notizbuch oder irgendetwas anderes Aufschlussreiches, fügte die Stimme der Vernunft in ihrem Kopf hinzu, dann hatten die Polizisten es garantiert mitgenommen. Irgendeinen Grund musste es schließlich dafür geben, dass sie die Schublade so hochnotpeinlich versiegelt hatten.
    Pia wollte die Schublade schon wieder schließen, als ihr Blick an einem zerschrammten Kästchen aus schwarzer Pappe hängen blieb. Es war sichtlich alt und mit einem spröde gewordenen Einmachgummi verschlossen, und als sie es herausnahm, klapperte etwas darin.
    Behutsam streifte sie das Gummiband ab, hob den Deckel an und zog überrascht die Augenbrauen hoch, als sie sah, was es enthielt.
    Es waren zwei Fotografien, alt und zerknittert und offensichtlich auf einem billigen Tintenstrahldrucker ausgedruckt, denn die Farben waren an einigen Stellen ineinandergelaufen und allgemein zu einem blassen Sepiaton verblichen, und ein klobiger Ring, der trotz seiner Größe so aussah, als stammte er aus einem Kaugummiautomaten. Pia nahm ihn kurz in die Hand, war ein wenig erstaunt über sein Gewicht und legte ihn dann wieder zurück, um sich die beiden Fotos genauer anzusehen.
    Sie stand mindestens eine Minute lang da und starrte auf die Bilder. Beide zeigten Esteban – einen ungefähr zwanzig Jahre jüngeren Esteban, wie sie schätzte – und auf beiden war auch ein Kind zu sehen; ein Mädchen von vielleicht anderthalb oder zwei Jahren, gerade alt genug, um aus eigener Kraft auf den Beinen zu stehen und vielleicht sogar ein paar Schritte zu machen, ohne sofort auf die Nase zu fallen, und auf einem davon … sie selbst.
    Nur, dass das vollkommen und ganz und gar unmöglich war.
    Pia schloss für einen Moment die Augen, zählte inGedanken bis fünf und sah dann noch einmal hin, aber an dem unglaublichen Anblick änderte sich nichts. Das Foto war mindestens fünfzehn oder zwanzig Jahre alt, das bewies nicht nur sein mitgenommener Zustand, sondern auch das Konterfei eines um ebenso viele Jahre jüngeren Esteban, aber die Frau darauf war ganz eindeutig sie.
    Ihr

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