Elfriede im Salon (German Edition)
“Ich wollte euch auch eine neue Dimension des Philosophierens nahebringen. Das Relative der Erkenntnis. Im Übrigen wird in der einschlägigen Literatur der philosophische Aspekt der bewusstseinsverändernden Droge unterschlagen.” - “Wir laufen keinen Marathon, um über die Wirkung eines Marathonlaufs zu diskutieren.” - “Wir können keinen Marathon laufen. Vielleicht würde uns ein Wochenende in den Alpen gut tun. Ein wunderschöner, klarer Tag, eine Bergwanderung. Dabei sollen ganz neue Erkenntnisse zutage treten.” - “Das ist mir zu mystisch. Die Erkenntnis, dass ich die ganze Zeit am Schnaufen wär und nicht genug Luft bekäme, habe ich schon jetzt. Für so eine Unternehmung bin ich zu schwer. Philosophie muss abstrahieren können. Methodisch ist es Unsinn, sich allen möglichen Erfahrungen auszusetzen, um darüber zu philosophieren. Was kann ich schon über den heutigen Abend sagen? Ich habe uns eingeschüchtert gesehen, schockiert und erregt. Eingeschüchtert, schockiert und erregt, das ist alles. Du willst jetzt vielleicht ausloten, was schockiert sein bedeutet. Ich sage schockiert bedeutet schockiert, und wie es sich gezeigt hat, lässt sich in so einem Zustand nur schlecht philosophieren, egal über was. Glücklicherweise hatte ich vorhin mehr Distanz. Ich wurde mir geradezu bewusst, in welch lächerlichen Situation ich mich begeben hatte.” - “Du bist also zu dem Schluss gekommen, Sex ist lächerlich. Ich dachte belanglos.” - “Robert, der Salon ist kein Swingerklub.” - “Und was willst du jetzt machen?” - “Ich würd mal sagen: mit gefangen und mit gehangen. Dennoch fühle ich mich dazu verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass es methodischer Blödsinn ist, den wir hier treiben.” - “Und ich hatte schon gedacht, du wolltest die Relativitätstheorie des Sexes formulieren”, witzelte Robert Unmuth. “Das man so oder so empfinden kann ist trivial. Vermutlich war ich zu verwirrenden Einflüssen ausgesetzt. Es wurde zwar belangloser und belangloser, aber es verwirrt einem die Sinne und Triviales erscheint einem bedeutend. Mit dem Haschisch ist es dasselbe. Man lacht über jeden Furz. Triviales erscheint großartig oder bedrohlich.” - “Ich bin froh, dass wir diesen Abend damals gemacht haben. Er hat eine Seite von mir gezeigt, von der ich keine Ahnung hatte.” Dr. Schwarz schien sich auf die Seite von Robert Unmuth schlagen zu wollen. “Mit Philosophie hatte deine Paranoia nichts zu tun.” - “Robert hat recht. Wie soll man über Dinge reden, die man nicht kennt. Was mir heute Abend passierte, ist zwar auf seine Weise schockierend, aber es war auch für mich großartig und so überaus neu!” Nachdem Dr. Schwarz gesprochen hatte, wurde er etwas rot. Hatte er gerade angedeutet, dass er an diesem Abend seine “Jungfräulichkeit” verloren hatte? Seine Äußerung brachte ihm bei Elfriede weitere Sympathiepunkte. Den methodischen Streit, den Professor Hügel losgelassen hatte, konnte sie nicht ganz verstehen. Sie sah den Verlauf des Abends jetzt eher pragmatisch. Sollte an diesem Abend auch nicht viel Philosophie rauskommen, so bot dieser Abend eine einmalige Erfahrung, die auf Dauer das Denken ihre Männer beeinflussen musste. Professor Hügel wollte sich in den wohlbekannten Intellektuellenturm verziehen, abgeschirmt von den Einflüssen der Welt. Sollte er sich doch in ein buddhistisches Kloster verziehen, in eine isolierte Zelle, sechs Wochen fasten und zu einem reinen Geist finden.
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Methodischer Unsinn war das Fazit von Professor Hügel. Wie so oft im Leben war nicht ganz klar, ob diese Ansicht reiner Erkenntnis entstammte oder von Fremdregungen motiviert wurde, in unserem Fall welche, die mit Philosophie nichts zu tun hatte. Kam hier eine eher spießige Grundeinstellung zutage oder hatte der Professor mit Lulu einfach zu wenig Spaß gehabt? Von Launen oder Interessen ausgelöste Erkenntnisse sind selbstverständlich nicht von vornherein falsch; sie müssen sich aber eine besonders kritische Überprüfung gefallen lassen. Für Robert Unmuth war die Diskussion noch nicht abgeschlossen, galt es doch die Idee für den Abend zu verteidigen. Schwierig war es, sachlich zu bleiben. Natürlich hatte sein Freund Franz recht, dass man nicht sämtliche menschlichen Erfahrungen im Experiment wiederholen konnte, um anschließend darüber zu diskutieren. Man stelle sich einen Themenabend
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