Elizabeth II.: Das Leben der Queen
verschlossenen Türen abspielt. Zu besichtigen war immer nur Pflicht, Pflicht und noch einmal Pflicht. Schon 1940 hatte Frances Towers in «The Two Princesses» über die Vierzehnjährige angemerkt, man könne «in dem gewinnenden Lächeln dieses ernsten kleinen Gesichts jene geniale Begabung für die Pflicht erkennen, die einen sehr gewöhnlichen Mann, der George V. [Elizabeths Großvater] war, zu einem großen König machte.» Pflicht – eine Tugend mit Kehrseiten, von denen in diesem Buch noch viel die Rede sein wird.
Der 21. April 1939, Elizabeths 13. Geburtstag, wird ein wichtiges Datum für den Teenager: Es beginnen Verfassungslektionen bei Henry Marten, dem stellvertretenden Provost von Eton College, Schloss Windsor gegenüber gelegen auf der anderen Seite der Themse. Elizabeth soll begreifen, «dass die Figuren der Geschichte selber einmal Menschen waren wie wir», und sich auf die Verfassungswirklichkeit ihres Landes einstellen lernen. Kein Parcours ist für eine künftige Königin wichtiger als dieser, die Verwurzelung in der Geschichte gehört zum Grundrüstzeug des Staatsoberhauptes. Sir Henry betont, dass die britische Monarchie an Alter nur vom Papsttum übertroffen werde und dass sie ihr Überleben der Fähigkeit verdanke, «sich auf Veränderungen einzustellen». Er wird schnell konkret: Die zwei wichtigsten Zäsuren, so legt er dar, von denen die britische Monarchie in der Moderne betroffen wurde, waren das «Statut von Westminster» von 1931 sowie die Ankunft des Radios. Ersteres definierte auf der Grundlage der Freiwilligkeit die Treue zur Krone als das gültige Bindeglied zwischen dem Königreich und den Dominien. Das Radio erlaubte es der königlichen Familie, diese Bindung aufrechtzuerhalten, wie George V. bereits 1932 mit seiner ersten Weihnachtsansprache übers Radio an Großbritannien und die Völker des Empire erfolgreich getestet hatte.
Das alles sind tief schneidende, sehr aktuelle Erkenntnisse, die Sir Henry Marten da vorträgt und die bis dahin noch in keinem Lehrbuch der Verfassung nachzulesen waren. Tatsächlich ist die Spur Elizabeths an nichts so gut abzulesen wie an ihren jährlichen Weihnachtsansprachen, wo sie reden kann, ohne dass ihr die Regierung die Worte, wie sonst immer, diktiert. Denn sie darf ja keine eigenen Gedanken vortragen, wenn sie offiziell auftritt, sondern spricht immer nur nach vorherigem
advice,
dem Rat ihrer Regierung und deren Minister, die ihre Texte vorformulieren, ob bei den Reden auf Staatsempfängen zu Hause oder als Gast im Ausland oder bei der
Queen’s Speech,
der jährlichen Regierungserklärung im Parlament. Die Weihnachtsbotschaft und die davon separate
Commonwealth Message
in jedem Frühjahr sind die beiden großen Ausnahmen – offenbar traut man der Monarchin bei diesen Anlässen zu, sich nicht politisch zu exponieren und Worte zu finden, mit denen die Regierung ohne vorherige Benachrichtigung leben kann. Elizabeth II. hat in dieser Hinsicht nie enttäuscht – einer Ausnahme werden wir in dem Kapitel über die Queen und Margaret Thatcher begegnen –, nimmt sie doch diese seltene Freiheit immer nur als Gelegenheit, über Werte zu sprechen, die ihr wichtig erscheinen. Verstärkt ist dabei in den letzten Jahren auch ihre christliche Verankerung zum Thema geworden.
Für seinen Unterricht über die Verfassung verwendete Sir Henry als Textbuch «Anson’s Law and Custom of the Constitution» von 1886–1892, in vier Bänden. Das Exemplar, das die Prinzessin benutzt und mit Bleistiftmarkierungen versehen hat, steht noch heute in der Bibliothek des Internats von Eton. Für den dreizehnjährigen Teenager ist alles, was der Autor über das Parlament schreibt, von besonderem Interesse. Unterstrichen hat sie Sätze wie «Das Parlament hat die Macht, jede Veränderung herbeizuführen, die es wünscht, keine Parlamentsperiode kann ihre Nachfolger unwiderruflich binden». Die Zeiten, als Monarchen Parlamente noch auflösen konnten, waren «die Tage vor einer verantwortlichen Regierung». Wieder ein dicker Elizabeth-Strich unter dem Wörtchen «vor». Der Provost von Eton gab ihr Aufsätze zu verfassen auf, in denen sie das Gelernte zu verarbeiten hatte.
Die künftige Queen wurde mithin auch ohne formale Schulung auf ihre Rolle als erste Dienerin des Staates sorgfältig vorbereitet; eine fleißige Leserin der
red boxes
kündigte sich an, jener Schatullen voll mit Papieren, die dem Monarchen jeden Abend aus Parlament und Regierung zur Begutachtung
Weitere Kostenlose Bücher