Elizabeth II.: Das Leben der Queen
versucht, mich unter die Menschen zu mischen,
um ihnen das Gefühl zu geben, ich sei einer von ihnen.»
Edward VIII. zu Premierminister Stanley Baldwin,
16. November 1936
«In einer konstitutionellen Monarchie ist
das Parlament der Souverän des Königs.»
John Gunther, US-Schriftsteller,
in «Inside Europe», 1936
Eine Schule besuchte Elizabeth nie – eine Schulung von bleibender Relevanz dagegen hatten sie und die königliche Familie mit dem Jahr 1936 erhalten. Dafür muss man den Kontext der Zeitgeschichte aufrufen. Dunkle Schatten fallen auf Europa. Hitler besetzt das Rheinland, Mussolini fällt in Abessinien ein, in Moskau beginnen die stalinistischen Schauprozesse, Spanien stürzt in den Bürgerkrieg. Und Großbritannien in all dem die Insel der Seligen? Nein, unter den spanischen republikanischen Brigadenkämpfen auch führende britische Intellektuelle, deren Bücher und Berichte die Öffentlichkeit aufwühlen. Doch das Land steuert auf eine gänzlich andere Krise zu, auf ein Drama um seine Verfassung – den Rücktritt des Königs. Ein unerhörter Vorgang. Schockartig erfährt die junge Elizabeth im Dezember, was ihr kraft der Abdankung ihres Onkels blühen wird: der Thron, die Staatsführung. Nur noch die Lebenszeit des Vaters trennt sie nun von dieser Gewissheit. Die Bedeutung dieses Datums, des Dezember 1936, lässt sich gar nicht übertreiben, es wird wie kein anderes die spätere Königin prägen. Seine Geschichte sei hier deshalb etwas ausführlicher erzählt, auch wenn die eigentliche Hauptperson unserer Biografie dabei kurzzeitig etwas in den Hintergrund tritt.
Was konnte eine zehnjährige Prinzessin mitbekommen von der Unruhe, die um sie herum wie eine bedrohliche Flut anstieg? An direkter Instruktion erhielt sie nicht viel. Die Eltern waren geradezu skrupelhaft verschwiegen, alles wurde von der Ältesten und ihrer Schwester Margaret ferngehalten, was zeitgenössisch war und aktuelle Familienprobleme aufwarf. Ja, das Ehepaar besprach auch untereinander solche Dinge nur ungern. Diese Usance des Verschweigens hat ein Cousin von Elizabeth II., Lord Harewood, dem Historiker William Shawcross so erklärt: «Auch meine Eltern [Mary, die einzige Tochter von George V., und Henry Lascelles, 6. Earl of Harewood] fanden es schwer, in einem ernsten, persönlichen Ton mit uns zu sprechen. Auch während der Abdankungskrise steckte die Familie meiner Mutter alles sehr gerne weg. Es war eine Tradition, heikle Dinge nicht zu diskutieren. Aber das ging über unsere Familie hinaus, war ein allgemeiner Zug in der damaligen Gesellschaft, den man heute kaum mehr versteht.»
Eine große Künstlerin solcher jede Aussprache vermeidenden Diskretion war Elizabeths Mutter, die bereits beschriebene Queen Elizabeth, die sie 1936 wurde. Man nannte ihre Technik des freundlichen Ausweichens vor privaten Problemen passend
ostriching
– die Art des Vogels Strauß (englisch
ostrich),
den Kopf in den Sand zu stecken. Bertie, ihr Mann, unterlag ohnehin ganz der Idylle, die er «us four» nannte – «wir vier»: seine Frau, er selbst und die beiden Mädchen, familienfreundlich niedergelassen im Haus 145 Piccadilly,einem prächtigen Stadthaus nahe Hyde Park Corner, komplett mit Dienerschaft, Garten und unmittelbarem Zugang zu einem der größten Londoner Parks, dem Hyde Park; im kommenden Krieg würde eine Bombe der Luftwaffe das Anwesen vollständig zerstören. Der Großvater, George V., hatte in den Wintermonaten mit dem Fernglas vom Buckingham Palast aus über die Ausläufer von Green Park hinweg seine kleine «Lilibet» ausmachen können, wie sie ihm zuwinkte vom Balkon des elterlichen Hauses.
Im Atmosphärischen dagegen zog sich das Schicksal auch für die älteste Tochter der Yorks unabweisbar zusammen, und sei es nur in der Nervosität, die allenthalben zunahm, im zerfurchten Blick des Vaters und seinen immer häufigeren
gnashes –
ungezügelten Zornesausbrüchen, die der Herzog von seinem Vater geerbt hatte, seiner grundbiederen Veranlagung zum Trotz. George V. und Albert, genannt Bertie, teilten aber noch eine weitaus wichtigere Eigenart, wie sich zeigen sollte: Beide kamen sie als Zweitgeborene auf den Thron und waren eigentlich nicht vorgesehen gewesen für ihre Aufgabe. Statt des fünften George hätte 1910 beim Tod von Edward VII. Georges älterer Bruder Albert Victor («Eddy») antreten sollen, der Herzog von Clarence. Doch dieser war im Januar 1892 kurz nach seiner Verlobung an den Folgen einer Lungenentzündung
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