Elke versteht das
Krieg schrieb und damit noch keinen Blumentopf gewonnen hatte. Immerhin hatte der ein Ziel. Aber welches?
Pfeifenberger war das beste Beispiel dafür, dass es seit mindestens fünfzehn Jahren bergab ging. Früher hatte er von einer
Einzelausstellung im Wilhelm-Busch-Museum geträumt. Heute zeichnete er Logos für Wellness-Hotels, zahlte seinen Range Rover
ab und hoffte, dass der offene Immobilienfonds, in den er heimlich die Ersparnisse seiner Gattin gesteckt hatte, nicht zusammenklappte.
Sex hatte er nur noch mit seiner Carola – und ab und zu mit der Verkäuferin aus der Videothek an der Ecke. Das war doch keine
Künstlerbiografie, das war eine Schufa-Karriere.
Man musste sich nur umschauen: Es gab wirklich keinen Grund, die Jahreswende zu feiern. Aus Kämpfern waren Kleinaktionäre
geworden, aus leidenschaftlichen Liebhabern urologische Problemfälle.
»Ich kann zu Silvester niemanden ertragen«, gestand Elke. »Alle diese mittelmäßigen und ausgebrannten Charaktere um uns herum.
Es reicht völlig, wenn wir die das ganze Jahr mitschleppen müssen.«
Da hatte die Gute nicht unrecht. Lieber an Silvester bis indie Puppen Horrorvideos schauen oder sich mit einer oder zwei Flaschen Rotwein einen Houellebecq vornehmen als die endlose
Renommiererei eines Pfeifenberger ertragen.
»Oder Manderscheids Gejammer über seinen Leistenbruch«, jammerte Elke. »Wie letztes Jahr. Kein Wunder, dass die letzten zwölf
Monate so ein Flop waren. Wenn man das Jahr schon im Kreise präpotenter Versager beginnt, kann ja nichts daraus werden. Meine
Kolleginnen feiern dieses Jahr zusammen. Mit Fondueessen, Urlaubsfotos anschauen und Bleigießen. Natürlich wird bis in die
Nacht hinein geschnattert. Intrigen und Verleumdungen. Das habe ich das ganze Jahr über. Wenigstens an Silvester will ich
meine Ruhe haben. Und weißt du, was das Schlimmste ist: Keine dieser Kühe hat auch nur einen Moment daran gedacht, mich dazu
einzuladen.«
»Du verkaufst dich in diesem Laden unter Wert«, sagte Schmalenbach. »Und was machen wir?«
»Wir tun so, als wäre Silvester ein ganz normaler Tag.«
»Also essen wir Nudeln, lesen Zeitung, streiten uns …«
»… genau: haben Sex oder gehen früh zu Bett.«
»Oder beides.« Schmalenbach fand auch, dass das die einzige würdevolle Strategie war, dieses elende Jahr abzuschließen. Immerhin
waren sie sich darin einig. Das geschah auch nicht alle Tage.
Das Telefon läutete. Pfeifenberger. »Was macht ihr denn an Silvester?«
»Wir sind zu einer großen Fete eingeladen. Elkes Kolleginnen lassen es richtig knallen. Zackenbarschfilets mit Trüffel aus
der Toskana, hitzige politische Debatten, Karaoke und Partnertausch. Aber wir gehen nicht hin. Elke sagt, das hat sie das
ganze Jahr über.«
Pfeifenberger seufzte. »Ich dachte, du wüsstest was, wo man sich unverkrampft anschließen könnte.«
»Nö«, sagte Schmalenbach. »Was macht denn Manderscheid?«
»Er kann nicht weg. Wegen seinem Leistenbruch. Aber wir sollen bei ihm vorbeischauen. Er will sich eine Almodóvar-DVD ausleihen
und eine Feuerzangen-Bowle machen. Germersheimer kommt auch.«
»Was gibt’s denn?«, rief Elke.
»Pfeifenberger fragt, was wir an Silvester machen.«
Elke stand sofort neben ihm. »Ich habe ihm gesagt, dass wir niemanden sehen wollen«, flüsterte Schmalenbach ihr zu. Elke nahm
ihm den Hörer weg und sprach mit Pfeifenberger.
Schmalenbach stand abseits, und es ging ihm so wie Willy Brandt, wenn Brigitte Seebacher-Brandt mit Helmut Kohl telefonierte.
Er fühlte sich ausgeschlossen – denn da sprachen zwei Seelenverwandte miteinander.
Als Elke auflegte, erklärte sie gerührt: »Natürlich weiß er nicht, wo er hin soll. Eigentlich tragisch. Almodóvar würde mich
schon reizen. Manderscheid ist ja ganz besonders sarkastisch, wenn er leidet. Und Pfeifenberger war total süß: Er will Eierlikör
besorgen. Wenn Carola zu viel davon trinkt, wird sie immer so obszön, dass es sogar ihm peinlich ist.«
Darauf freuten sich beide. »Weißt du«, sagte Elke noch.
»Dieses verflixte Jahr haben wir doch nur ertragen, weil wir so eine verschworene Gemeinschaft sind.«
Informationen zum Buch
Elke will manchmal
einfach nur reden
: Warum liebst du mich?, fragt sie dann und schaut Schmalenbach aus großen Augen an. Er schlägt sich tapfer, solange es in
ihren Gesprächen nicht um wirklich heikle Themen wie
die Spirale
geht. Schmalenbach gibt schließlich immer sein Bestes. Räkelt
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