Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
gegen die Welt so unversöhnlich machen? – Doch allerdings: dem Vater hat niemand einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen.
ODOARDO
(gegen Marinelli)
. Nun, mein Herr?
MARINELLI . Wenn Sie mich so gar auffodern! –
ODOARDO . O mitnichten, mitnichten.
DER PRINZ . Was haben Sie beide?
ODOARDO . Nichts, gnädiger Herr, nichts. – Wir erwägen bloß, welcher von uns sich in Ihnen geirret hat.
DER PRINZ . Wieso? – Reden Sie, Marinelli.
MARINELLI . Es geht mir nahe, der Gnade meines Fürsten in den Weg zu treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den Richter aufzufodern –
DER PRINZ . Welche Freundschaft? –
MARINELLI . Sie wissen, gnädiger Herr, wie sehr ich den Grafen Appiani liebte; wie sehr unser beider Seelen ineinander verwebt schienen –
ODOARDO . Das wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein.
MARINELLI . Von ihm selbst zu seinem Rächer bestellet –
ODOARDO . Sie?
MARINELLI . Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen: und in einem Tone! in einem Tone! – Dass er mir nie aus dem Gehöre komme dieser schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, dass seine Mörder entdeckt und bestraft werden!
DER PRINZ . Rechnen Sie auf meine kräftigste Mitwirkung.
ODOARDO . Und meine heißesten Wünsche! – Gut, gut! – Aber was weiter?
DER PRINZ . Das frag ich, Marinelli.
MARINELLI . Man hat Verdacht, dass es nicht Räuber gewesen, welche den Grafen angefallen.
ODOARDO
(höhnisch)
. Nicht? wirklich nicht?
[80] MARINELLI . Dass ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen.
ODOARDO
(bitter)
. Ei! ein Nebenbuhler?
MARINELLI . Nicht anders.
ODOARDO . Nun dann, – Gott verdamm’ ihn den meuchelmörderschen Buben!
MARINELLI . Ein Nebenbuhler, und ein begünstigter Nebenbuhler –
ODOARDO . Was? ein begünstigter? – Was sagen Sie?
MARINELLI . Nichts, als was das Gerüchte verbreitet.
ODOARDO . Ein begünstigter? von meiner Tochter begünstiget?
MARINELLI . Das ist gewiss nicht. Das kann nicht sein. Dem widersprech ich, trotz Ihnen. – Aber bei dem allen, gnädiger Herr, – Denn das gegründetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit so viel als nichts – bei dem allen wird man doch nicht umhin können, die schöne Unglückliche darüber zu vernehmen.
DER PRINZ . Jawohl, allerdings.
MARINELLI . Und wo anders? wo kann das anders geschehen, als in Guastalla?
DER PRINZ . Da haben Sie Recht, Marinelli; da haben Sie Recht. – Ja so: das verändert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen selbst –
ODOARDO . O ja, ich sehe – Ich sehe, was ich sehe. – Gott! Gott!
DER PRINZ . Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich?
ODOARDO . Dass ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das ärgert mich: weiter nichts. – Nun ja; sie soll wieder nach Guastalla. Ich will sie wieder zu ihrer Mutter bringen: und bis die strengste Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht weichen. Denn wer weiß, –
(mit einem bittern Lachen)
wer weiß, ob die Gerechtigkeit nicht auch nötig findet, mich zu vernehmen.
MARINELLI . Sehr möglich! In solchen Fällen tut die Gerechtigkeit [81] lieber zu viel, als zu wenig. – Daher fürchte ich sogar –
DER PRINZ . Was? was fürchten Sie?
MARINELLI . Man werde vorderhand nicht verstatten können, dass Mutter und Tochter sich sprechen.
ODOARDO . Sich nicht sprechen?
MARINELLI . Man werde genötiget sein, Mutter und Tochter zu trennen.
ODOARDO . Mutter und Tochter zu trennen?
MARINELLI . Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhörs erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid, gnädiger Herr, dass ich mich gezwungen sehe, ausdrücklich darauf anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen.
ODOARDO . Besondere Verwahrung? – Prinz! Prinz! – Doch ja; freilich, freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? nicht? – O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich!
(Fährt schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.)
DER PRINZ
(schmeichelhaft auf ihn zutretend)
. Fassen Sie sich, lieber Galotti –
ODOARDO
(beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht)
. Das sprach sein Engel!
DER PRINZ . Sie sind irrig; Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei dem Worte Verwahrung, wohl gar an Gefängnis und Kerker.
ODOARDO . Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig!
DER PRINZ . Kein Wort von Gefängnis,
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