Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
den Prinzen in einer Entfernung; sie spricht mit ihm in einem Tone – Mache nur, Odoardo, dass wir wegkommen.
ODOARDO . Ich bin zu Pferde. – Was zu tun? – Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zurück?
ORSINA . Nicht anders.
ODOARDO . Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu nehmen?
ORSINA . Warum nicht? Sehr gern.
[73] ODOARDO . Claudia, –
(ihr die Gräfin bekannt machend)
die Gräfin Orsina; eine Dame von großem Verstande; meine Freundin, meine Wohltäterin. – Du musst mit ihr herein; um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.
CLAUDIA . Aber – wenn nur – Ich trenne mich ungern von dem Kinde.
ODOARDO . Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich doch vorlassen. Keine Einwendung! – Kommen Sie, gnädige Frau.
(Leise zu ihr.)
Sie werden von mir hören. – Komm, Claudia.
(Er führt sie ab.)
[74] Fünfter Aufzug
Die Szene bleibt.
Erster Auftritt
MARINELLI. DER PRINZ .
MARINELLI . Hier, gnädiger Herr, aus diesem Fenster können Sie ihn sehen. Er geht die Arkade auf und nieder. – Eben biegt er ein; er kömmt. – Nein, er kehrt wieder um. – Ganz einig ist er mit sich noch nicht. Aber um ein Großes ruhiger ist er, – oder scheinet er. Für uns gleichviel! – Natürlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt haben, wird er es wagen zu äußern? – Wie Battista gehört, soll ihm seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde. – Geben Sie Acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz untertänigst Eurer Durchlaucht für den gnädigen Schutz danken, den seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich, mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig nach der Stadt bringen, und es in tiefster Unterwerfung erwarten, welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem unglücklichen, lieben Mädchen zu nehmen geruhen wollen.
DER PRINZ . Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich, schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut. – Wenn er höchstens seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeißt: aber Emilien, anstatt sie nach der Stadt zu führen, mit sich nimmt? bei sich behält? oder wohl gar in ein Kloster, außer meinem Gebiete, verschließt? Wie dann?
MARINELLI . Die fürchtende Liebe sieht weit. Wahrlich! – Aber er wird ja nicht –
DER PRINZ . Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns dann helfen, dass der unglückliche Graf sein Leben darüber verloren?
[75] MARINELLI . Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwärts! denkt der Sieger: es falle neben ihm Feind oder Freund. – Und wenn auch! Wenn er es auch wollte, der alte Neidhart , was Sie von ihm fürchten, Prinz: –
(Überlegend.)
Das geht! Ich hab es! – Weiter als zum Wollen, soll er es gewiss nicht bringen. Gewiss nicht! – Aber dass wir ihn nicht aus dem Gesichte verlieren. –
(Tritt wieder ans Fenster.)
Bald hätt er uns überrascht! Er kömmt. – Lassen Sie uns ihm noch ausweichen: und hören Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befürchtenden Fall tun müssen.
DER PRINZ
(drohend)
. Nur, Marinelli! –
MARINELLI . Das Unschuldigste von der Welt!
Zweiter Auftritt
ODOARDO GALOTTI .
Noch niemand hier? – Gut; ich soll noch kälter werden. Es ist mein Glück. – Nichts verächtlicher, als ein brausender Jünglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und doch ließ ich mich fortreißen: und von wem? Von einer Eifersüchtigen; von einer für Eifersucht Wahnwitzigen. – Was hat die gekränkte Tugend mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten. – Und deine Sache, – mein Sohn! mein Sohn! – Weinen könnt ich nie; – und will es nun nicht erst lernen – Deine Sache wird ein ganz anderer zu seiner machen! Genug für mich, wenn dein Mörder die Frucht seines Verbrechens nicht genießt. – Dies martere ihn mehr, als das Verbrechen! Wenn nun bald ihn Sättigung und Eckel von Lüsten zu Lüsten treiben; so vergälle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebüßet zu haben, ihm den Genuss aller! In jedem Traume führe der blutige Bräutigam ihm die Braut vor das Bette; und wann er dennoch den wollüstigen Arm nach ihr ausstreckt: so höre er plötzlich das Hohngelächter der Hölle, und erwache!
[76] Dritter Auftritt
MARINELLI. ODOARDO GALOTTI .
MARINELLI . Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie?
ODOARDO . War meine Tochter hier?
MARINELLI . Nicht sie: aber der Prinz.
ODOARDO . Er verzeihe.
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