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Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Titel: Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G.E. Lessing
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mich sie küssen, diese väterliche Hand.
Achter Auftritt
    DER PRINZ. MARINELLI. DIE VORIGEN .
    DER PRINZ
(im Hereintreten)
. Was ist das? – Ist Emilien nicht wohl?
    ODOARDO . Sehr wohl; sehr wohl!
    [87] DER PRINZ
(indem er näher kömmt)
. Was seh ich? – Entsetzen!
    MARINELLI . Weh mir!
    DER PRINZ . Grausamer Vater, was haben Sie getan?
    ODOARDO . Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. – War es nicht so, meine Tochter?
    EMILIA . Nicht Sie, mein Vater – Ich selbst – ich selbst –
    ODOARDO . Nicht du, meine Tochter; – nicht du! – Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater!
    EMILIA . Ah – mein Vater –
(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den Boden.)
    ODOARDO . Zieh hin! – Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache schreiet?
(Nach einer Pause.)
Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, dass ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschließen? – Sie irren sich. Hier!
(Indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft.)
Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe, und erwarte Sie, als Richter. – Und dann dort – erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!
    DER PRINZ
(nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli)
. Hier! heb ihn auf. – Nun? Du bedenkst dich? – Elender! –
(Indem er ihm den Dolch aus der Hand reißt.)
Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. – Geh, dich auf ewig zu verbergen! – Geh! sag ich. – Gott! Gott! – Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, dass Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?
    Ende des Trauerspiels
.

[88] Editorische Notiz
    Der Text der vorliegenden Ausgabe folgt der Edition:
    Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Bd. 2. Stuttgart: G. J. Göschen’sche Verlagshandlung, 1886. [Darin: Emilia Galotti.]
    Die Orthographie wurde auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln behutsam modernisiert; der originale Lautstand und grammatische Eigenheiten blieben gewahrt. Die Interpunktion, die oftmals Kommata entgegen den heutigen Konventionen der Zeichensetzung gebraucht, um Zäsuren in der dramatischen Rede deutlich zu machen, folgt der Druckvorlage.

Hinweis zur E-Book-Ausgabe
    Die in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählung verweist auf die Buchausgabe des Werkes (ISBN 978-3-15-000045-8).

LEKTÜRESCHLÜSSEL
FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER
    Gotthold Ephraim Lessing
Emilia Galotti
    Von Theodor Pelster
    Philipp Reclam jun. Stuttgart

1. Hinführung zum Werk
    »Was soll ich tun!«, ruft Emilia Galotti, die Haupt- und Titelfigur aus Lessings Trauerspiel, an einem Höhepunkt der dramatischen Handlung und ziemlich genau in der Mitte des Stückes. Der Form nach ist diese Äußerung eine Frage; die Umstände machen sie zu einem Ausruf, der keine Antwort erwartet. Ein Ausrufezeichen schließt den Satz und eine Regiebemerkung empfiehlt der Schauspielerin, die schwierige Lage durch Gestik zu verdeutlichen: »Die Hände ringend« (III,5).
    Damit ist die Grundfrage der Ethik – »Was sollen wir tun?« – zugleich aufgenommen, zugespitzt und mit deutlichem Zweifel versehen, ob sie zufrieden stellend beantwortet werden könne. Emilia ahnt, dass sie in eine kritische, wenn nicht aussichtslose Lage geraten ist. Sie ist getrennt von den Instanzen, die ihr bisher beigestanden und geraten haben – so ihr Vater und ihre Mutter –, und sie muss nun aus eigener Kraft handeln und weiß nicht wie.
    Die Ethik leitet an, von der Grundfrage »Was soll ich tun?« ausgehend, die jeweilige Situation, in der ein Mensch handeln muss, genau einzuschätzen und dann nach moralisch vertretbaren Lösungen zu suchen, die zu einem erstrebten Ziel hinführen. Dabei zeigt sich, dass weder die Ziele noch die Wege der einzelnen Menschen eindeutig zu bestimmen sind. Aristoteles (384–322 v. Chr.) schreibt zu Beginn seiner
Nikomachischen Ethik
: »[…] jede Handlung und jeder Entschluß scheinen ein Gut vor Augen zu haben. Daher hat man sehr richtig das Gute als das hingestellt, wonach alles strebt. Doch es scheint einen Unterschied in den Zielen zu

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