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Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Titel: Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G.E. Lessing
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wenn es abgeredet worden; recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entführung; sondern bloß ein kleiner – kleiner Meuchelmord.
    ODOARDO . Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. Ist es Meuchelmord: so ist es auch Entführung. –
(Blickt wild um sich, und stampft, und schäumet.)
Nun, Claudia? Nun, Mütterchen? – Haben wir nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern Ehre!
    ORSINA . Wirkt es, Alter! wirkt es?
    ODOARDO . Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers –
(Indem er den Rock von beiden Seiten auseinander schlägt, und sich ohne Gewehr sieht.)
Wunder, dass ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen! –
(An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend.)
Nichts! gar nichts! nirgends!
    ORSINA . Ha, ich verstehe! – Damit kann ich aushelfen! – Ich hab einen mitgebracht.
(Einen Dolch hervorziehend.)
Da nehmen Sie! Nehmen Sie geschwind, eh uns jemand sieht. – Auch hätte ich noch etwas, – Gift. Aber Gift ist nur für uns Weiber; nicht für Männer. – Nehmen Sie ihn!
(Ihm den Dolch aufdringend.)
Nehmen Sie!
    ODOARDO . Ich danke, ich danke. – Liebes Kind, wer wieder sagt, dass du eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun.
    ORSINA . Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite! – Mir wird die Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen [71] wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit: und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste, – wenn Sie ein Mann sind. – Ich, ich bin nur ein Weib: aber so kam ich her! fest entschlossen! – Wir, Alter, wir können uns alles vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget; von dem nämlichen Verführer beleidiget. – Ah, wenn Sie wüssten, – wenn Sie wüssten, wie überschwänglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidiget worden, und noch werde: – Sie könnten, Sie würden Ihre eigene Beleidigung darüber vergessen. – Kennen Sie mich? Ich bin Orsina; die betrogene, verlassene Orsina. – Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter verlassen. – Doch was kann Ihre Tochter dafür? – Bald wird auch sie verlassen sein. – Und dann wieder eine! – Und wieder eine! – Ha!
(wie in der Entzückung)
welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal alle, – wir, das ganze Heer der Verlassenen, – wir alle in Bacchantinnen , in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns hätten, ihn unter uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwühlten, – um das Herz zu finden, das der Verräter einer jeden versprach, und keiner gab! Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte!
Achter Auftritt
    CLAUDIA GALOTTI. DIE VORIGEN .
    CLAUDIA
(die im Hereintreten sich umsiehet, und sobald sie ihren Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget)
. Erraten! – Ah, unser Beschützer, unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da? – Aus ihren Wispern, aus ihren Mienen schloss ich es. – Was soll ich dir sagen, wenn du noch nichts weißt? – Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles weißt? – Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!
    ODOARDO
(der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen [72] gesucht)
. Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig, – und antworte mir.
(Gegen die Orsina.)
Nicht Madame, als ob ich noch zweifelte – Ist der Graf tot?
    CLAUDIA . Tot.
    ODOARDO . Ist es wahr, dass der Prinz heute Morgen Emilien in der Messe gesprochen?
    CLAUDIA . Wahr. Aber wenn du wüsstest, welchen Schreck es ihr verursacht; in welcher Bestürzung sie nach Hause kam –
    ORSINA . Nun, hab ich gelogen?
    ODOARDO
(mit einem bittern Lachen)
. Ich wollt’ auch nicht, Sie hätten! Um wie vieles nicht!
    ORSINA . Bin ich wahnwitzig?
    ODOARDO
(wild hin und her gehend)
. O, – noch bin ich es auch nicht.
    CLAUDIA . Du gebotest mir ruhig zu sein; und ich bin ruhig. – Bester Mann, darf auch ich – ich dich bitten –
    ODOARDO . Was willst du? Bin ich nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? –
(Sich zwingend.)
Weiß es Emilia, dass Appiani tot ist?
    CLAUDIA . Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, dass sie es argwohnet; weil er nicht erscheinet. –
    ODOARDO . Und sie jammert und winselt –
    CLAUDIA . Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig; aber nach der geringsten Überlegung, in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie hält

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