In den Klauen des Tigers
1. Herrenclub bei Sauerlichs
Die Juni-Sonne brannte, und die beiden
Jungens radelten mit Sack und Pack. Tarzan buckelte seinen halbgefüllten
Touren-Rucksack, saß aber aufrecht im Sattel. Klößchen und sein Drahtesel waren
in gefährlicher Weise überladen. Ein Koffer, angefüllt mit schmutziger Wäsche,
balancierte bedrohlich auf dem Gepäckträger. Ein Tornister, der unter anderem
drei Kilo Schokolade enthielt, drückte Klößchen nach vorn. Seine Schweißtropfen
sprenkelten die Eichen-Allee. Es war Mittag. Feierliche Stille lag über den
parkgroßen Gärten.
„Willi, uns muß etwas einfallen“,
meinte Tarzan. „Sonst werden das die langweiligsten Pfingstferien des Jahres.
Aber uns wird schon was einfallen.“
„Ich wünsche mir Ruhe.“
„Ruhe ist langweilig. Schade um jeden
Tag, den man damit vertut.“
Klößchen seufzte. Zu längerer
Erwiderung reichte sein Atem nicht.
Immerhin: Ihr Ziel rückte näher, die
prächtige Villa des Schokoladenfabrikanten Sauerlich, Klößchens Vater.
Die Jungs erreichten das Tor, bogen in
die Einfahrt und rollten bis zur Garage. Klößchen schaffte die letzten Meter in
halsbrecherischer Schräglage. Als er hielt, rutschte der Koffer vom Rad.
„Puh!“ machte er. „Das nächste Mal
nehme ich ein Taxi. Ist ja eine furchtbare Schinderei vom Internat bis hierher.“
„Die paar Kilometerchen.“ Tarzan sah
auf die Armbanduhr. „Karl wird bald kommen.“
„Womit dann der Herrenclub vollständig
wäre.“ Klößchen grinste. „Und niemand stört uns. Niemand macht uns
Vorschriften. Niemand triezt uns. Wir können tun und lassen, was wir wollen.
Nicht mal dazu sind wir verpflichtet. Deshalb wünsche ich uns erstmal schöne
Pfingstferien. Vielleicht wird’s doch noch was mit meiner Ruhe.“
Tarzan lachte. „Ist schon toll, daß wir
das ganze Haus für uns allein haben.“
„Bis auf Frau Dessart. Aber die würde
erst einschreiten, wenn wir Feuer legen oder Wände herausreißen.“
Amalie Dessart war die Köchin. Sie
hielt hier die Stellung, während Klößchens Eltern sich über Pfingsten auf einer
Kreuzfahrt im Mittelmeer befanden. Gestern waren sie abgereist.
Tagelange Auseinandersetzungen hatte es
gegeben — zwischen ihnen und ihrem einzigen Sohn. Denn natürlich sollte er mit,
und seine Teilnahme war schon gebucht gewesen, ohne sein Wissen. Mit Händen und
Füßen hatte er sich gesträubt. Nur weil er schon 13 war, sah er davon ab, sich
auf den Boden zu werfen und mit den Fäusten zu trommeln. Er wollte nicht mit,
sondern hier bei seinen Freunden bleiben. Schließlich hatte er seinen dicken
Kopf durchgesetzt. Sauerlichs reisten allein. Und Klößchen durfte Tarzan und
Karl zu sich einladen.
Strahlend hatte er das seinen Freunden
verkündet und hinzugefügt: „So eine Kreuzfahrt ist wirklich das letzte. Alles
alte Leute, und es wird den ganzen Tag nur gefressen.“
Tarzan und Karl hatten eine Weile
gebraucht, sich von ihrem Erstaunen zu erholen. Daß Klößchen plötzlich Völlerei
verurteilte, war ganz was neues.
Sie stellten die Räder neben die
Garage, schleppten das Gepäck zum Eingang. Klößchen klingelte, und Frau Dessart
öffnete.
Sie war rundlich, Kochen ihr
Lebensinhalt. Sie liebte starke Esser, weshalb Klößchen und sein Vater mit
ihrer Sympathie rechnen konnten. Von Frau Sauerlich, die es jede Woche mit einer
anderen Diät hielt, ließ sich das nicht behaupten.
„Du bist auch dabei, Tarzan“, wunderte
sie sich, nachdem sie die Jungs herzlich begrüßt hatte. „Ich dachte, nur Karl
kommt, und du wärst während der Ferien zu deiner Mutter gefahren.“
„Das ging leider nicht“, erklärte er. „Meine
Mutter ist für ihre Firma geschäftlich unterwegs. Auf der Internationalen Messe
in Barcelona. Ausgerechnet jetzt! Ist blöd. Aber was soll man machen! Sie muß
arbeiten, schließlich braucht sie das Geld, das sie dabei verdient nicht
zuletzt dafür, um das Internat für mich bezahlen zu können. Daß ich zu Hause
allein rumhocke, bringt ja nichts. Da bleibe ich schon lieber im Internat. Na,
und daß Willi mich wieder eingeladen hat, ist natürlich spitze.“
„Freut mich, daß du hier bist. Und wie
ist es mit Gaby? Soll ich für sie das Gästezimmer herrichten?“
„Gaby kommt nicht. Sie ist mit ihrem
Schwimmverein im Zeltlager.“
„Aber nur mit den Mädchen“, ergänzte
Klößchen.
„Wird euch fehlen, wie?“ Amalie Dessart
lächelte.
„Ach“, meinte Klößchen, „es ist auch
mal ganz schön ohne Wei...“ An der
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