Emily, allein
Zum halben Preis
Jeden Dienstag legte Emily Maxwell das wenige, was von ihrem Leben noch übrig war, in die Hand Gottes und die zittrigen Hände ihrer Schwägerin Arlene, und dann fuhren sie gemeinsam nach Edgewood, um im Eat ‘n Park zum halben Preis am Frühstücksbuffet teilzunehmen. Zu den vielen Vorzügen der Sonntagsausgabe der Post-Gazette gehörten die Rabattgutscheine. An den übrigen Tagen begnügte sich Emily zum Frühstück mit Tee und Melba-Toast oder schälte vielleicht eine Klementine, um etwas Vitamin C zu sich zu nehmen, aber das Angebot des Eat ’n Park war so günstig, dass sie es sich nicht entgehen lassen konnte, und zudem bot es ihr einen Vorwand, aus dem Haus zu kommen. Dr. Sayid sagte immer, sie müsse mehr essen.
Es war nicht weit - ein paar Kilometer durch East Liberty, Point Breeze und Regent Square, auf breiten Straßen, die sie so gut kannten wie alte Freunde -, doch die Fahrt war für Emilys Nerven stets eine Belastungsprobe. Arlene sah nicht mehr so gut, und wenn sie ein Gespräch führten, beeinträchtigte das ihre Aufmerksamkeit für das Geschehen um sie herum. Sobald sie sich auf einen Gedanken konzentrierte, fuhr sie langsamer, woraufhin die anderen Fahrer hupten oder ihr, wie vor kurzem eine Frau mittleren Alters, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Emilys Tochter Margaret gehabt hatte, den Mittelfinger zeigten.
«Anscheinend hab ich irgendwas falsch gemacht», hatte Arlene gesagt.
«Scheint so», hatte Emily erwidert, doch sie hätte eine ganze Reihe von Fehlern aufzählen können. Es hatte keinen Zweck, Arlene nachträglich zu kritisieren, egal, wie konstruktiv die Kritik auch sein mochte. Am besten hielt man sich fest und schnappte nicht bei jedem Beinaheunfall nach Luft.
Anfangs hatten sie sich abgewechselt, aber ehrlich gesagt, so ungeschickt Arlene sich auch anstellte, ihren eigenen Fahrkünsten traute Emily noch weniger. Bei ihnen war immer Henry gefahren. Das war für ihn eine Frage des Stolzes gewesen. Noch kurz vor seinem Tod hatte er darauf beharrt, eigenhändig zur Chemo ins Krankenhaus zu fahren. Nur auf der Heimfahrt, wenn er kreidebleich und schweigend über eine Plastikschüssel auf seinem Schoß gebeugt neben ihr saß, lenkte Emily seinen riesigen Olds die gewundene Ausfahrt des Klinikparkhauses hinunter, voller Angst, sie könnte mit dem Wagen die zerkratzten Betonwände entlangschrammen. Ein paar Jahre lang hatte sie mit dem alten Schiff ihre persönlichen Besorgungen erledigt, ohne sich je aus dem von Bank, Bücherei und Giant Eagle gebildeten Dreieck hinauszuwagen, doch als sie gegen einen Hydranten prallte und kurz darauf mit einem Wagen der Stromgesellschaft zusammenstieß, hatte sie - wenn auch schweren Herzens, weil es ihrer angeborenen Sparsamkeit zuwiderlief - zugeben müssen, dass es vielleicht vernünftiger war, ein Taxi zu nehmen. Jetzt stand der Olds zusammen mit ihren rostigen Golfschlägern hinten in der Garage, als wäre er endgültig ausgemustert, die Windschutzscheibe staubig, die Reifen schlaff. Emily fuhr nicht gern Bus, und Arlene hatte ihr angeboten, sie jederzeit mit ihrem Taurus zu kutschieren, der ebenfalls ein unförmiger, wenn auch nicht ganz so imposanter Oldtimer war. In ihrem Freundeskreis wurde darüber gescherzt, dass Arlene inzwischen Emilys Chauffeurin sei, doch da dieser Freundeskreis immer kleiner wurde, kannten immer weniger Leute ihre Geschichte, und manchmal wurden sie, weil sie denselben Nachnamen trugen, von wohlmeinenden jungen Leuten auf einer Veranstaltung des University Clubs oder nach einem von Donald Wilkins’ wunderbaren Orgelkonzerten in der Calvary Episcopal Church für Schwestern gehalten, eine Vorstellung, die Arlene im Gegensatz zu Emily ausgesprochen amüsant fand.
Arlene kam wie immer zu spät. Es war grau und regnerisch, typisches Novemberwetter für Pittsburgh, und Emily stand im Wohnzimmer am Erkerfenster, beugte sich über den niedrigen Heizkörper und schob den dünnen Vorhang zur Seite. Das Sturmfenster war fleckig und schmutzig. Ihr direkter Nachbar Jim Cole hatte die Fenster freundlicherweise vor ein paar Wochen eingehängt, hatte jedoch vergessen, sie richtig sauber zu machen, und nun ließ sich bis zum Frühling nichts daran ändern. Irgendwann würde sie sich selbst darum kümmern, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, mit Essig und Wasser, würde alles mit Zeitungspapier streifenfrei trocken wischen, doch das lag noch in weiter Ferne.
Die Bäume und Hecken draußen an der
Weitere Kostenlose Bücher