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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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bedeckt. In den Bäumen zirpten die Zikaden, ein schrilles, stetiges Geräusch. Aus der Ferne drang das leise, an- und abschwellende Rauschen der Stadt herüber, wie von einem vorbeifahrenden Zug.
    Als sie den Kofferraum aufklappte, verbrannte sie sich die Hand am Metall der Heckklappe und zog sie rasch weg. Sie hatte eine Gießkanne und ihren Gärtnerkorb mitgebracht. Beides war nicht schwer, doch wegen der Cosmeen musste sie zweimal gehen. Entgegen ihrer inneren Stimme ließ sie die Heckklappe offen, da sie glaubte, gleich wieder zurück zu sein.
    Drei weiße, von Urnen flankierte Marmorstufen führten zum Rasen hinauf, der trotz des Regenmangels ein saftiges Grün zeigte. Dieser Bereich stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert, als Henrys Urgroßvater das Familiengrab mit Ölgeld erworben hatte. Soweit sie sehen konnte, hatte sich seit ihrem letzten Besuch nichts verändert. Die Steine, an denen sie vorbeikam, waren schon älter, die Namen herausgearbeitet statt eingemeißelt, die Ränder der Buchstaben voll Ruß. CHALFANT, KNAPP, AT WAT ER - Familien, die in der Geschichte versunken waren, so wie es letztlich auch ihr und Henry ergehen würde. Bei diesem Gedanken biss sie sich auf die Lippe. Warum zweifelte sie ausgerechnet hier, umgeben von den entsprechenden Symbolen, an der Aussicht auf Ewigkeit?
    Der Hang war steiler, als es den Anschein hatte, und es gab nirgends Schatten. Um sich für Henry schön zu machen, hatte sie die falschen Schuhe angezogen, deshalb musste sie vorsichtig sein, kleine Trippelschritte machen und die Cosmeen mit beiden Händen vor sich hertragen wie einen heißen Schmortopf. Als sie sich der Grabstelle der Maxwells näherte, sah sie, noch ehe sie Henrys Namen lesen konnte, die Flagge auf seinem Grab. Eigentlich war das ihr Werk, denn sie hatte ihnen mitgeteilt, dass er Veteran war, und doch versetzte die Flagge ihr einen Stich. Sie fand es falsch, dass jemand anders sein Grab besucht hatte, während sie zu Hause geblieben war.
    Die Gräber seiner Eltern waren schmucklos, und Emily wünschte, sie hätte auch ihnen etwas mitgebracht. Du bist ein armseliger Gast, hätte ihre Mutter gesagt. Die Maxwells hatten sie in ihrer Familie aufgenommen, obwohl sie bloß ein unerfahrenes Mädchen aus der hintersten Provinz gewesen war. Einen Augenblick stand sie da, beschirmte die Augen vor der grellen Sonne, rief sich die Feiertage ins Gedächtnis, die sie zusammen verbracht hatten, und dachte daran, wie Lillian in Perlenkette und Schürze mit einem Glas Gin durch die Küche gehuscht war und Emilys Hilfsangebote mit einem Handwedeln beiseitegewischt hatte. «Ich weiß, dass es nicht so aussieht, aber ich habe mein eigenes System.» Emily hatte das Gefühl, als wäre es erst letztes Jahr an Weihnachten gewesen, doch - konnte das wirklich sein? - Lillian war schon fast dreißig Jahre tot. Sie war so gewesen, wie Emily immer sein wollte, kultiviert und nicht aus der Ruhe zu bringen. Was wäre ohne Lillian aus ihr geworden? Sie verdankte ihr mehr, als sie je gutmachen konnte, und jetzt hatte sie ihr nicht einmal etwas mitgebracht.
    Lillians und Geralds Grabstein passten zusammen, sie waren aus demselben Vermonter Granitblock gehauen. Nach Henrys Tod hatte Emily sich bemüht, denselben Stein zu finden, doch es war unmöglich gewesen, und der leichte Farbunterschied ärgerte sie wie ein nicht getroffener Ton. Sie hatte den Kaufvertrag in die Mappe mit ihrem Testament gelegt, damit die Kinder wussten, wo sie den Stein für sie herbekamen. Auf Kenneth konnte sie sich verlassen. Am Telefon hatte sie ihn mehrmals daran erinnert, und obwohl er nicht so darauf eingegangen war, wie sie es sich gewünscht hätte, wusste er, dass es ihr wichtig war.
    Warum? Wann waren sie zum letzten Mal an Henrys Grab gewesen? Wann würden sie nach ihrer Beerdigung wieder nach Pittsburgh kommen? Für sie würde es dann keine Rolle mehr spielen, warum also jetzt?
    Weil es, genau wie bei dem Stein, einfach so war. Das Problem lag wohl eher darin, dass sie keine Trennlinie zwischen Leben und Tod ziehen konnte oder sich dieser Linie selbst näherte, sich aber aus Hoffnung dagegen sträubte. Angesichts des ewigen Friedens, den sie für sich erbat, war das bestimmt selbstsüchtig, doch sie wollte die Welt nicht verlassen. Alles, was sie je gewollt hatte, war ein ruhiges, würdevolles Leben. Sie dachte, das könnte sie hier endlich erreichen.
    Sie würde zu seiner Rechten liegen, genau wie früher im Schlaf, Arlene in dem Grab direkt

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