Emma traut sich was
einfach ins Auto gestiegen und weggefahren war. Es war mitten in der Nacht gewesen und ich hatte in meinem Bett gelegen und nicht einschlafen können. Da hörte ich plötzlich, wie die Autotür zuschlug und der Wagen vom Hof fuhr. Mir war auf einmal richtig schlecht geworden und ich hatte furchtbare Angst gehabt, dass Mama nie wieder zu uns zurückkommen würde.
»Hast du Papa eigentlich gar nicht mehr lieb?«, fragte ich.
Mama lächelte. »Doch, natürlich hab ich ihn noch lieb. Aber im Moment kann ich mir trotzdem nicht vorstellen, wieder mit ihm zusammenzuleben.«
»Bist du noch sehr böse auf Papa?«
Mama überlegte. »Das kommt darauf an. Manchmal bin ich noch furchtbar wütend auf ihn. Aber diese Momente werden allmählich seltener. Vor allem, seit ich mit Gesa zusammen das Gesundheitszentrum aufbaue. Die Arbeit macht mich richtig zufrieden. Und wenn man zufrieden ist, kann man nicht mehr so gut auf andere Menschen wütend sein.«
Darüber musste ich erst mal nachdenken. Vielleicht hatte Mama wirklich Recht. Wenn ich unzufrieden war, wurde ich auch immer viel schneller wütend. Aber jetzt im Moment war ich eigentlich ganz zufrieden. Es war schön, mit Mama zusammen in der Küche zu sitzen und sich mit ihr zu unterhalten. Aber ich war auch traurig. Weil ich mir jetzt ziemlich sicher war, dass Papa erst mal nicht wieder zu uns ziehen würde.
Es ist ein komisches Gefühl, gleichzeitig zufrieden und traurig zu sein. Ich weiß, eigentlich geht das gar nicht, aber genauso war es. Als wenn man gleichzeitig in ein Stück Vollmilchschokolade und in eine Zitronenscheibe beißt.
Und plötzlich merkte ich, dass meine Wut auf Papa verschwunden war. Sie war einfach weg. Vielleicht war diese Carolin ja wirklich nur seine Mitbewohnerin. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, sich Papas WG mal anzusehen.
»Du hast Recht«, sagte ich zu Mama. »Wenn man zufrieden ist, verschwindet die Wut einfach. Vielleicht sollte ich Papa morgen doch besuchen.«
»Gute Idee«, sagte Mama. »Da wird er sich freuen.«
»Ja, aber seine WG ist bestimmt nicht so nett wie unsere«, stellte ich fest.
Mama lächelte. »Nein, das glaub ich auch nicht.«
Später kramte ich oben in meiner Schultasche nach Papas Telefonnummer. Da fiel mir ein Zettel in die Hand. Er steckte ganz vorne zwischen meiner Brotdose und einem Comicheft. Der Zettel war zweimal gefaltet und auf der Vorderseite stand Für Emma. Ich starrte die Buchstaben an und mein Herz begann wie verrückt zu klopfen. Es war Bastians Schrift. Ich faltete den Zettel auseinander. Meine Hände zitterten ein bisschen. Dann fing ich an zu lesen.
Liebe Emma,
das mit dem Streit neulich tut mir Leid. Eigentlich wollte ich mich gar nicht mit dir streiten. Lea finde ich witzig, aber dich finde ich einfach UMWERFEND. Ich will nicht mit Lea zusammen sein, sondern mit dir, das ist sonnenklar. Sollen wir uns morgen treffen? Um drei im Venezia? Ich werde auf dich warten.
Bis bald (hoffentlich!),
dein Bastian.
PS: Du warst super heute Morgen! Die zwei Typen sind totale Idioten, das finden alle, auch wenn Lea was anderes sagt.
Ich las den Brief noch drei Mal, dann faltete ich ihn vorsichtig wieder zusammen und steckte ihn in meine Hosentasche. In meinem Bauch gluckerte es. Das musste das Glück sein. Es fühlte sich so an, als hätte ich zu viel Brausepulver gefuttert.
Das mit dem Brief musste ich sofort Mona erzählen, wenn sie vom Flötenunterricht zurückkam. Und Oma. Und Mama. Am liebsten hätte ich es der ganzen Welt erzählt. Vielleicht war die Sache mit der Liebe doch nicht so übel.
Und das mit dem Küssen würde ich auch noch irgendwie hinkriegen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag. Und zwar ein ganz besonders schöner.
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