Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
gegenüber dem Vater. Stephen King setzt Ekel und vor allem die Angst vor dem Unberechenbaren ein. Das Verhalten einzelner Personen wird mit der Bedrohung, die über dem ganzen Dorf liegt, verknüpft. Mit »etwas stimmte nicht« und dem vagen Hinweis auf die Morde wird eine Gefahr angedeutet – ein besonders wirkungsvolles Mittel, um Angst zu erzeugen.
Todesangst ist die stärkste Form von Angst. Die Angst um das nackte Leben wurde von Edgar Allan Poe in seiner Geschichte »Die Grube und das Pendel« (1842) zu Literatur gemacht. Hier arbeitet Poe mit Dunkelheit, Bewegungsunfähigkeit, Enge – alles Angstauslöser. Der nicht näher benannte Ich-Erzähler ist in die Hände der spanischen Inquisition geraten und in ein Foltergefängnis gesperrt. Erst denkt er, er befinde sich in einem Grab, aber noch kann er sich bewegen. Der Druck wird gesteigert. Nach einem schweren Schlaf findet er sich gefesselt auf einem Holzbrett wieder. Über ihm bewegt sich ein metallenes Pendel mit scharfer Schneide, das langsam tiefer kommt. Die Bedrohung durch das langsame herabsinkende Pendel löst Todesangst aus. Es gibt kein Entrinnen:
»Was nützt es, von den langen, langen Stunden eines grausigeren denn Todesgrauens zu sagen, in denen ich die immer schneller schwirrenden Schwingungen des Stahls zählte! Zoll um Zoll – Strich um Strich – nur merklich in den Abständen, die wie Ewigkeiten anmuteten, senkte er sich tiefer und tiefer. Tage vergingen – viele Tage mochten gar vergangen sein -, ehe er so dicht über mir schwang, dass er mich mit seinem beißenden Atem umfächelte. Der Geruch des scharfen Stahls drang mir in die Nase. Ich betete – ich quälte den Himmel mit meinem Gebet, das Pendel möge doch schneller herabsinken. Wilder Wahnsinn packte mich, und mit aller Kraft versuchte ich, mich aufzubäumen, dem Streich des grässlichen Krummsäbels entgegen. Und dann ward ich plötzlich ruhig, lag da und lächelte dem glitzernden Tode zu wie ein Kind einem seltenen Spielzeug.«
Er bekommt nichts zu trinken, und über sein Gesicht laufen die Ratten. Diese werden ihm schließlich zur Rettung – sie zerfressen die Bänder, die ihn gefesselt haben, nachdem er sie mit Öl eingerieben hat. Doch auf die kurze Erlösung folgt der nächste Schrecken: Die Figuren an den Wänden schauen ihn mit glühenden Dämonenaugen an und beginnen zu glühen. Die Wände des Kerkers verengen sich zu einem Rhombus, der sich immer dichter um den Bedrängten zusammenzieht …
Die Geschichte endet mit einer Befreiung: Der Ich-Erzähler wird von den Engländern gerettet. Welche Erleichterung! Sonst hätte er seine Geschichte nicht erzählen können!
Hier werden alle Stilmittel, um Angst nachfühlbar zu machen, eingesetzt: die Ohnmacht als Gefesselter, die Enge, die sich noch weiter zusammenzieht, die lebensbedrohliche Hitze, Hunger und Durst, Ungeziefer, Ausgeliefertsein, keine genaue Kenntnis der Peiniger.
Auch Texte, die andere Themen in den Mittelpunkt stellen, können an Spannung gewinnen, wenn man Angstszenen einarbeitet. Angst als Leitmotiv finden wir in dem Roman Effi Briest von Theodor Fontane (1894). Effis Alltag an der Seite des Baron Geert von Innstetten, den die gerade 17-Jährige auf Wunsch der Eltern geheiratet hat, verläuft ruhig. Deshalb nutzt der Schriftsteller symbolische Auslöser. Als die Jungvermählte sich nach der Hochzeitsreise mit ihrem Mann seinem Gut in Kessin nähert, fahren sie an einem Friedhof vorbei:
»›Ach, das ist ja entzückend, Geert. Du sprichst immer von Nest, und nun finde ich, wenn du nicht übertrieben hast, eine ganz neue Welt hier. Allerlei Exotisches. Nicht wahr, so etwas Ähnliches meintest du doch?‹ Er nickte. ›Eine ganz neue Welt, sag’ ich, vielleicht einen Neger oder einen Türken, oder vielleicht sogar einen Chinesen.‹ ›Auch einen Chinesen. Wie gut du raten kannst. Es ist möglich, dass wir wirklich noch einen haben, aber jedenfalls haben wir einen gehabt; jetzt ist er tot und auf dem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn du nicht furchtsam bist, will ich dir bei Gelegenheit mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafer drum rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich.‹
›Ja, schauerlich, und ich möchte wohl mehr davon wissen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Visionen und Träume und möchte doch nicht, wenn ich diese Nacht hoffentlich
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