Endlich Endzeit - ein Baden-Württemberg-Krimi
frühen Morgen hatte er am Nordende des Sees eine Tür aufgehebelt und aus dem Lagerraum der Waldschenke ein paar Flaschen Cola und einige Schokoriegel geklaut. Einen Teil hatte er gleich an Ort und Stelle vertilgt, zwei Flaschen und die restlichen Süßigkeiten stopfte er in die Jackentaschen und ging vorsichtig zurück zum Waldrand. Dort hatte er zwischen dem dichten Unterholz oberhalb des Zeltlagers gehockt und gewartet, was passieren würde.
Irgendwann kam ein Mann aus dem Wald und ging zielstrebig zu den Zelten. Arnie kannte seinen Namen nicht, aber es war derselbe Typ, der sich immer so aufgespielt hatte, wenn sie sich mal ein bisschen Holz von diesem Jägerstand beim Zeltlager fürs Feuer genommen hatten. Vorsichtig schlich sich Arnie in einem weiten Bogen zu ihm hin, immer darauf achtend, ein paar Schritte vom Waldrand entfernt im Schatten der Bäume zu bleiben.
Da taumelte der Mann auch schon wieder rückwärts aus dem Zeltlager, den Blick fest auf das fast erloschene Lagerfeuer gerichtet. Er zückte sein Handy und rief ganz aufgeregt jemanden an. Danach stand er noch ein, zwei Minuten da und starrte aufs Lagerfeuer, bevor er seine Jacke enger um sich zusammenraffte und davonstapfte.
Arnie schlich wieder zurück und sah ihm nach, als er auf dem Weg in Richtung See einen Geländewagen öffnete und sich hineinsetzte. Arnie zog sich noch etwas tiefer in den Wald zurück und kroch schließlich in der Nähe der Zelte aus einem dornigen Gestrüpp hervor. Er sah auf das Lagerfeuer, sah die Leiche, wurde blass und blasser, schluckte und rannte wie von Sinnen den Waldweg entlang, die Zelte, das Lagerfeuer und den Toten in seinem Rücken, den Spazierweg in Richtung Gallengrotte vor sich.
Jetzt wurde er langsamer, und sein Schnaufen wurde lauter und keuchender. Er sah sich um: Niemand war hinter ihm auf dem Weg, um diese Zeit lag der Wald normalerweise noch völlig verlassen. Er schnappte nach der kalten Luft, versuchte vor allem durch die Nase zu atmen. Dann trollte er sich wieder und trottete in langsamerem Tempo weiter in den Wald hinein.
»Sagen Sie mal, Herr Rau«, fragte Klaus Schneider, als er und Ernst mit dem Kriminaltechniker der Feuerstelle wieder den Rücken kehrten, »sind die Leute bei Ihnen im Rems-Murr-Kreis so vernarrt ins Camping, dass sie sogar im Winter hier draußen übernachten?«
Schneider hatte sich gut eingelebt zwischen Stuttgart und dem Schwäbischen Wald, er hatte in einem der Dörfer ein Haus gebaut und kam prima mit den Kollegen zurecht – aber sich selbst sah er noch immer in erster Linie als Karlsruher, nicht als Schwabe.
»Zumindest heute Nacht scheint dort niemand geschlafen zu haben. Gegen zwei, halb drei hat es leicht geschneit, die genaue Uhrzeit für diesen Ort müssen wir noch abfragen. Als wir heute früh hier ankamen, haben wir auf dem Zeltplatz nur die Fußspuren des Jägers gefunden, der den Toten entdeckte. Und in den Zelten haben wir niemanden angetroffen.«
Schneider blieb stehen und musterte den Eingang des Zelts direkt neben ihm.
»Da könnt ihr ruhig rein«, sagte Rau. »Mit dem sind wir als Erstes fertig geworden – für die anderen brauchen wir noch ein bisschen. Wir haben euch sogar unser Licht dringelassen. Ich muss dann wieder. Bis nachher!«
Damit war er um die nächste Ecke verschwunden.
Eine Biergarnitur stand unter dem Vordach und nahm den größten Teil der überdachten Fläche ein, daneben standen zwei Gasflaschen und ein Campingkocher auf einem Holzbrett.
Schneider schlüpfte durch den Zelteingang. Drinnen war es zwar windgeschützt, aber fast genauso kalt wie draußen – zum Glück, denn schon bei diesen Temperaturen stank es in dem Zelt barbarisch. In einer Ecke lagen alte Socken und benutzte Unterwäsche herum, daneben stapelten sich im grellen Licht eines tragbaren Scheinwerfers halb geleerte Raviolidosen und andere Essensreste.
Entlang der gegenüberliegenden Zeltwand stand eine Bierbank, darauf lagen ein paar Zettel, beschwert mit Steinen. Schneider hob einen der Steine hoch und nahm sich einen Zettel: Es waren Schwarzweißkopien auf gelbem Papier, und es ging irgendwie um einen Mayakalender und den darin prophezeiten Weltuntergang. Schneider hielt Ernst das Blatt kopfschüttelnd hin und sah sich weiter um.
In der Mitte des Zelts stand ein wackliger Campingtisch mit drei Klappstühlen. Auf dem Tisch lagen ein altmodisch wirkender Füller, Tintenpatronen und Büroklammern in einem Kästchen aus hellem Holz, daneben lag ein Buch mit
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