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Endlich gefunden

Titel: Endlich gefunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Katherine Green
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bückte ich mich darnach und sah beim Schein der Gaslampe, die den Vorplatz matt erhellte, daß es ein Stück rote Kreide war.
    Dieser an sich so unbedeutende Fund rief sofort eine halbvergessene Erinnerung in mir wach.
    Bei jenem denkwürdigen Besuch in Vermont hatte ich auf einer Türe am Hause der Schönmakers ein rotes Kreuz bemerkt. Es machte damals wenig Eindruck auf mich, und ich würde gewiß nie wieder daran zurückgedacht haben, wäre mir das Stück rote Kreide nicht gerade in einem Augenblick in die Hände geraten, als ich mich so lebhaft mit den Schönmakers beschäftigte. Zugleich fiel mir ein, daß meine Wirtin sich vor einigen Tagen über die neuen Mieter beklagt hatte, die gerade über mir wohnten; sie sprach von zwei Männern und einer Frau, wenn ich nicht irre, und fügte hinzu, da sie pünktlich zahlten, könne sie sich nicht entschließen,ihnen zu kündigen. Ein unbestimmter Argwohn stieg in mir auf, ich ging an die Türe zurück, die ich vorhin in der Zerstreuung hatte öffnen wollen, und betrachtete sie genau, Sie war einfach weiß angestrichen, und nichts Besonderes daran zu sehen. Auf der Nebentüre aber, die zu der andern im rechten Winkel stand, bemerkte ich ein rotes Kreuz, das ganz so aussah, wie dasjenige am Hause derSchönmakers in Granby; es mochte wohl mit der nämlichen Kreide gemacht sein, die ich auf dem Boden gefunden hatte.

    Die Entdeckung versetzte mich in große Aufregung. War es denn möglich, daß die Menschen, nach denen ich schon überall gesucht hatte, mit mir im selben Hause wohnten? – Unverwandt starrte ich nach dem bedeutsamen Zeichen; ich horchte mit verhaltenem Atem, und als ich ein unterdrücktes Schnarchen zu vernehmen glaubte, konnte ich kaum dem Verlangen widerstehen, die verschlossene Tür aufzubrechen und einzudringen. Vorsicht ist jedoch mehr wert als Tapferkeit, und nach kurzer Ueberlegung stand ich fürs erste von jeder Gewaltmaßregel ab.
    Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu, sondern wälzte nur allerlei Pläne in meinem Haupte. Als ich bei Tagesanbruch schwere Fußtritte die Treppe heraufkommen hörte, sprang ich sogleich aus dem Bette, um dem Ankömmling zu folgen. Doch besann ich mich noch rechtzeitig, daß ich am besten tun würde, die Wirtin auszuhorchen, um womöglich zu erfahren, mit was für Leuten ich es zu tun hätte.
    Ich fand die Frau schon zu früher Morgenstunde mit häuslichen Arbeiten in der Küche beschäftigt. Sie hatte von Anfang an eine großeVorliebe für mich gefaßt und gab mir gern jede gewünschte Auskunft. Die neuen Mieter waren ihr ein Dorn im Auge, schon wegen ihres schäbigen Anzuges, aber auch aus andern Gründen. Tagsüber verließen sie kaum das Haus, das sie mit ihrem abscheulichen Tabak einräucherten, das Mädchen hielten sie wie eine Gefangene, und wenn sie abends ausgingen, kamen sie oft erst in den frühen Morgenstunden heim. Sie wäre die Menschen lieber heute als morgen los gewesen, aber die Miete – die Miete konnte sie nicht entbehren.
    Ich sagte ihr, eine Wirtin müsse oft ein Auge zudrücken und kleine Unannehmlichkeiten übersehen. Solange die Leute pünktlich bezahlen, riete ich ihr, sie ruhig wohnen zu lassen.
    Mich dauert nur das Mädchen, fuhr sie fort, das so hübsch, so traurig und krank aussieht. Ich kann es nicht ertragen, das arme Ding immer in dem kleinen Zimmer eingesperrt zu wissen. Man hält es kaum für möglich, daß sie die Tochter des alten Mannes ist, wie er sagt. Sie sollten sie nur einmal sehen –
    Freilich, das ist ja gerade, was ich wünsche, und zwar nicht bloß aus Neugier. Soviel ich weiß, ist nämlich auf ihre Entdeckung und Rettung ein hoher Preis ausgesetzt.
    Nun gab ich der Wirtin gegenüber alle Verstellung auf und eröffnete ihr, daß ich nicht, wie sie vermutete, ein Buchhalter sei, der eine Stelle suche, sondern Beamter der Geheimpolizei.
    Das machte einen großen Eindruck auf sie, und sie ließ sich leicht überreden, mir bei meinem Unternehmen nach besten Kräften zu helfen und niemand ein Wort davon zu sagen. Hätte sie dies Versprechen nicht gehalten, so wäre mein fein angelegter Plan, die Schurken in aller Stille zu ergreifen, schwerlich zur Ausführung gekommen.
    Noch am selben Tage bezog ich das Zimmer neben demjenigen mit dem roten Kreuz an der Türe. Ich steckte in den alten Kleidern eines herabgekommenen französischen Künstlers, mit dem ich vor kurzem bekannt geworden war, und dessen Erscheinung und Wesen ich auch sonst nachzuahmen suchte; einige seiner

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