Endlich war wieder Weihnachten
gleiten, und plötzlich wurde aus den Schmerzen eine den ganzen Körper erfassende Wärme, so wohlig, daß man sich darin räkeln konnte wie unter einer Sonne.
»Danke«, sagte sie leise und schloß die Augen. »Danke … ich fühle mich ganz leicht …«
»Jetzt stirbt sie«, stammelte der junge Mann und schlug die Hände vor sein Gesicht. »Sie stirbt … Mein Gott, laß es nicht zu ! Laß es nicht zu!«
Es war ein Mädchen, das auf die Welt kam, ein kleines rosiges Menschenwesen mit schwarzen Haaren, und es schrie kräftig und ballte die Fäustchen, als die Bäuerin es wusch und dann in ein dickes Handtuch wickelte. »Ein richtiges Christkind«, sagte sie dabei.
»Es wird Claudia heißen.« Die junge Frau drehte den Kopf zu ihrem Mann, der bleich und mit Tränen in den Augen über ihr schweißgetränktes Haar streichelte. Sie lächelte, wie alle Mütter hinterher lächeln, und dann kam die große Erschöpfung, und sie schlief ein.
Ich wurde auf Stroh geboren, dachte Joshua. Und hier ist es ein Tisch. Er sah die junge Frau lange an und begann sie zu erkennen. In einer anderen Zeit, in einer veränderten Welt, unter Menschen, die nach den Sternen griffen und um so mehr die Unendlichkeit erkannten.
Mutter, sagte er in sich hinein. Mutter, ich verstehe dich. Ich bin ein unbequemer Gast auf dieser Erde. Ich war traurig über das, was ich gesehen habe. Ich zweifelte an dieser Welt. Aber es gibt Hoffnung, Mutter. Jedes Kind, dem neues Leben gegeben wurde, ist meine Hoffnung. Danke, Mutter.
Er ging zu der Bäuerin, streckte die Arme aus und sagte: »Gib mir das Kind … bitte …«
»Sie lassen es fallen.« Die Bäuerin schüttelte den Kopf.
»Ich lasse keinen Menschen fallen.«
»Haben Sie auch Kinder?«
Ihr seid alle meine Kinder, dachte er. Wie konnte ich das bloß vergessen? Er nahm das kleine Bündel Mensch auf seine Arme, drückte es an sich, küßte ihm die Stirn und setzte sich neben den geschmückten Weihnachtsbaum auf einen Schemel. Der Bauer zündete die Kerzen an und hockte sich stumm neben ihn auf die Ofenbank.
Joshua wiegte das Kind in seinen Armen und sah hinüber zu dem Kreuz mit seinem gemarterten Körper. Die Kerze davor flackerte und ließ ihn im Spiel von Licht und Schatten wie lebend erscheinen.
»Ich vergebe euch«, sagte Joshua leise. »Und ich bin bei euch alle Tage, auch wenn ihr es nicht merkt. Ich weiß es jetzt: Es war nichts umsonst. Ihr braucht mich mehr als je zuvor, auch wenn ihr an mir zweifelt.«
Es war ein stiller, glücklicher Abend – und der Braten, eine Ente, schmeckte köstlich. Er trank noch eine Flasche Bier, breitete dann die Arme aus und rief:
»Meine Kinder, warum so still? Laßt uns fröhlich sein! Ein Mensch wurde geboren! Ich weiß, wie glücklich auch meine Eltern waren!«
Da stellte der Bauer das Radio an, suchte nach flotter Musik, und Joshua tanzte mit der Bäuerin, während der junge Mann den Takt dazu klatschte, und alle waren lustig, ganz anders als sonst am Heiligen Abend.
Und nebenan, im Arm der Mutter, schlief das Kind und lächelte in sein Leben hinein.
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