Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
blickt in den Spiegel.
»Nicht übel für zwei alte Krähen …«
»Sprich bitte nur für dich«, sagt sie und boxt mich spielerisch in die Seite.
»Ich will nicht, dass du wegziehst«, sage ich.
»Und ich verbiete dir ab sofort, darüber zu reden.« Damit meint sie eigentlich, dass ich nicht jetzt schon in diesem Abschied verweilen soll. Dass später noch Zeit genug zum Abschiednehmen ist. Wir wissen noch nicht, wie die Trennung genau aussehen wird, aber sie wird auf uns zukommen. Wenn sie erst da ist, werden wir schon wissen, wie wir am besten damit umgehen. Momentan können wir das noch gar nicht wissen, weil wir diesen Zeitpunkt noch nicht erreicht haben.
»Deine letzte Chance, einen Blick in das abgeschlossene Zimmer zu werfen«, bemerkt Helen und lässt den ergänzten Schlüsselbund vor meiner Nase baumeln.
»Nein, schon gut.«
Damit dreht sie sich um und geht.
Ich nehme meine Tasche und folge ihr durch den kleinen Flur bis über die Schwelle. Sanft ziehe ich die Haustür hinter mir zu. Auf einmal kommt mir der Gedanke, dass mein Dasein als Mutter den Höhepunkt überschritten hat – es fühlt sich genauso an wie dieser letzte Urlaubstag. Manchmal, wenn ich eine schwangere Frau sehe, die im Supermarkt Mühe hat, eine Dose Mais aus dem untersten Regal zu nehmen, oder eine, die mit einem prallen, prächtigen Bauch am Strand entlangläuft, fühle ich mich in die Zeit meiner eigenen Schwangerschaft zurückversetzt, mit all den Hoffnungen, dem gnadenlosen Stolz und der Namenssuche.
Ich glaube, ja, das muss der Höhepunkt gewesen sein. Dann wieder denke ich: Nein, es war der Höhepunkt, sie nach ihrer Geburt an meine noch überraschte Brust zu legen und endlich den kleinen Fremdling kennenzulernen, der in mir herangewachsen war. Aber was ist mit den vielen Augenblicken, in denen sie sich an mich gekuschelt und mit meinem Haar gespielt haben, in denen sie mir ihre ganz privaten Geschichten erzählt haben, bevor es so etwas wie Lügen oder Sätze wie »Ich hasse dich« zwischen uns gab? Ich meine die Zeit, als das Wackelhündchen seinen Kopf noch hatte.
Vielleicht ist es aber auch der Moment, in dem ich nach einem Streit die Nachricht Mir auch. Tut mir leid, dass ich mich so aufgeführt habe. X J. auf meinem iPhone vorfinde. Ja, das könnte gut der Höhepunkt sein.
Ich bin mir nicht mehr sicher, bei gar nichts. Ich weiß nur, dass unsere Kinder nie stillstehen, und deshalb dürfen wir das auch nicht. Wir müssen einfach immer weitergehen, auf den Damm am Horizont zu.
Die Mutterschaft ist wie ein Haus, das man vorübergehend gemietet hat. Wir dürfen es bewohnen, es mit unseren Ideen, unseren Stimmen, unserem Lachen füllen, doch kaum kennen wir es bis in den letzten Winkel, ist es an der Zeit, alles einzupacken und wieder auszuziehen. Wir haben lediglich einen befristeten Mietvertrag, die Eigentumsurkunde werden wir nie bekommen. Meine Kinder, aufgewachsen zwischen den Wänden meines schützenden Herzens, durch dessen Fenster die Sonne auf sie schien und dessen Türen sie beschützten und eingrenzten, sind nun auf dem Markt.
Sie verlassen mich, wachsen mit jedem Einatmen aus mir heraus, legen mich mit jedem Ausatmen ein wenig mehr ab. Wer sie sind, ist in ihren Zellen längst festgeschrieben. Wenn ich sie bisher nicht lehren konnte, unsere Erde zu respektieren, ihren eigenen Körper zu mögen oder Menschen für viel wertvoller zu erachten als Geld, dann kann ich daran nun auch nichts mehr ändern. Ich kann ihnen nicht mehr sagen, wie sie selbst etwas aus sich machen sollen. Ich kann ihnen nur wie einem Fremden begegnen und fragen »Wer bist du?« und »Was wirst du aus deinem einen, einmaligen Leben machen?«
Ich spüre, wie schnell das alles vorbeirauscht, mit welcher Eile ihre eigene Zukunft sie für sich einnimmt. Ich stehe an der Grenze der Mutterschaft, ohne Visum zu dem Land, in das sie als Nächstes reisen. Sie müssen von mir fortgehen. Damit ich mich erinnern kann, wie ich sie erst erträumt und dann der Welt geschenkt habe.
Im Moment wünsche ich mir nur, Aaron in die Arme zu nehmen und ihm zu sagen, dass ich Vertrauen in ihn habe, dass ich ihm zutraue, in diesem Leben die richtigen Entscheidungen zu treffen. Selbst, wenn sie sich im Nachhinein als beschissen herausstellen sollten. Ich werde natürlich »Fehler« sagen, um ihm kein schlechtes Beispiel in Sachen Ausdrucksweise zu geben. Zumindest werden es seine Fehler sein.
In der kommenden Woche werde ich mir extra viel Zeit für die
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