Endstadium
Verfahren des Arztes gegen Rosell?«, fragte Stephan nach.
»Ist doch klar, dass sich ein Arzt nicht gefallen lässt, in der Zeitung an den Pranger gestellt zu werden. Auch wenn Rosells Frustration verständlich ist: Man darf andere nicht eines Fehlers bezichtigen, wenn man nichts beweisen kann. Das wissen Sie doch, Knobel. Also haben wir Rosell geraten, sich selbstverständlich der Forderung der Gegenseite zu unterwerfen und sich zu verpflichten, niemals wieder zu behaupten, Hobbeling habe Rosell das Leben genommen. Das ist doch alles einfaches Zivilrecht, Knobel!«
In dem Maße, in dem Kollege Mahlerwein emporwuchs, schien Stephan Knobel nach dem Ausscheiden aus der Sozietät abzusinken. Löffke redete mit ihm wie mit einem Referendar, legte breit und nachsichtig Selbstverständlichkeiten dar und sonnte sich in der Gewissheit, seinen Beruf zu beherrschen.
»Machen Sie einen Termin mit Rosell!«, schloss Löffke. »Suchen Sie ihn auf! Er freut sich auf Ihren Besuch. Er braucht Sie. Seine Frau sagt, er hat nur noch ein paar Wochen. Soweit ich weiß, liegt er den ganzen Tag im Bett. Ein bisschen fernsehen, manchmal noch telefonieren, ansonsten grübeln, dämmern, Schmerzen. Es geht ihm dreckig.«
3
Stephan hatte den Fall seinerzeit nur flüchtig verfolgt. Er entsann sich der Zeitungsmeldungen, die natürlich weniger aussagekräftig waren als die ausschweifenden Erklärungen seines Kollegen. Da Löffke jedoch über all seine Fälle stets blumig und detailverliebt redete, stach die Sache Rosell gegen Hobbeling in Stephans Erinnerung nicht sonderlich hervor. Jetzt, als Stephan Löffkes Akte las, wurde die Erinnerung wieder in ihm wach, und er achtete erstmals auf Einzelheiten, die seinerzeit in der Flut der von Löffke wortgewaltig präsentierten Informationen untergingen. Nun, da Justus Rosell im Sterben lag, hatte der Fall greifbar jene Dramatik gewonnen, die damals noch fern schien. Die plakativen Zeitungsartikel hatten das Schicksal der stark verkürzten Lebenserwartung zum medialen Ereignis gemacht. Die Todesbedrohung würzte die Beiträge zum spannenden Lesestoff. Man las gebannt, was einen in Person nicht betraf. Doch das nun tatsächlich bevorstehende Ende berührte in anderer Weise. Stephan verstand, warum Löffke sich entzog und fühlte sich zugleich selbst verpflichtet. Es war unanständig, einen Mandanten im Stich zu lassen, der sich in seinen letzten Tagen nochmals an die Kanzlei gewandt hatte, die sich jetzt nicht mehr für ihn zu interessieren schien. Stephan wollte anders sein als die Sozietät, der er den Rücken kehrte.
Er nahm die Akte mit nach Hause. Es war, als wollte er sie aus dem Kanzleigebäude entfernen, in dem er sie nicht geborgen wähnte. Aber er scheute zugleich den Anruf bei Rosell und wollte ihn erst abends tätigen, wenn er vermuten konnte, dass Rosell zu diesem Zeitpunkt das Telefonat nicht mehr persönlich annehmen würde. Wie beginnt man ein Telefonat mit einem Todgeweihten?
Es war gegen 21 Uhr, als Julita Rosell abnahm. Stephan stellte sich kurz vor, und die Frau seines Mandanten unterbrach ihn erleichtert.
»Es wird meinen Mann sehr freuen, dass Sie sich unserer Sache noch mal annehmen. Er schläft jetzt schon. Gott sei Dank. Jede Minute, in der er nicht mit seinem Leiden konfrontiert ist, ist eine gute Minute.« Sie nahm Stephan sofort in die Pflicht. »Kommen Sie morgen gegen 15 Uhr, wenn es Ihnen zeitlich recht ist.«
Ihre Stimme war klar und hell, freundlich und einladend. Frau Rosell machte es ihm leicht. Vielleicht hatte sie sich schon darin geübt, es den Besuchern ihres kranken Mannes leicht zu machen.
»Wir werden gemeinsam einen Tee trinken, wenn Sie mögen«, fügte sie an. »Wenn es meinem Mann nicht gut gehen sollte, sage ich rechtzeitig ab. Dann finden wir einen neuen Termin. Aber ich denke, es funktioniert. Ich freue mich auf Sie, Herr Knobel. Rechtsanwalt Löffke hat schon von Ihnen geschwärmt. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend. Und nochmals vielen Dank!«
Dann hängte sie ein, ohne dass Stephan sich erklären musste oder nur danach fragen konnte, wie er sich auf das Gespräch vorbereiten sollte. Julita Rosell verstand, den Anrufer an sich zu binden. Ihr harter spanischer Akzent war unverkennbar.
Als er aufgelegt hatte, stand Marie hinter ihm. Sie trug Plastikhandschuhe.
»Das Badezimmer ist jetzt soweit eingerichtet. Rechts vom Waschbecken habe ich ein Regal mit feuchten Tüchern eingerichtet. Du solltest sie auch
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