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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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mein Arzt wären«, sagte Rosell. Er lächelte flach und hustete. Sein Kopf errötete. Frau Rosell betupfte seine Stirn mit einem Taschentuch.
    »Aber es ist jetzt nichts mehr zu machen«, fuhr er fort. Es war eine kapitulierende Feststellung, die jeden Kommentar verbat.
    »Ich habe die Akte gelesen«, begann Stephan. »Leider wurde der Fall verloren. Glauben Sie mir, das macht mich selbst betroffen.«
    Er hielt inne. Warum sagte er so was? Es war unprofessionell. Wie vermessen klang sein Bekenntnis, wie strategisch und substanzlos? Was wusste er schon von Justus Rosell?
    »Vielleicht erklärst du dem Anwalt dein Anliegen«, nahm Frau Rosell den Faden wieder auf. Ihr Mann atmete schwer und starrte wieder an die Decke.
    »Ich weiß, dass wir damals verloren haben«, sagte er schließlich mit erstaunlich fester Stimme. »Aber ich möchte, dass dieser Arzt mit meinem Sterben konfrontiert wird. Er soll nicht denken können, dass ich mit seinem Sieg vor Gericht auch aus seinem Gewissen verschwinden kann. Er hat meinen Tod zu verantworten, glauben Sie mir das!« Die Atmung war hastiger geworden, sein Kopf lief wieder rot an.
    »Langsam!«, ermahnte seine Frau ruhig. Rosell nickte unmerklich, ließ sich einen Schluck Wasser geben und leckte träge mit der Zunge über die Lippen.
    »Es gibt nichts Wesentliches mehr zu regeln«, fuhr er leise fort, »ich möchte vor allem, dass mein Abgang nicht anonym bleibt. Hobbeling soll daran teilhaben, er soll es lesen. Aber ich möchte, dass alles rechtlich sicher ist.« Seine Blicke hefteten sich wieder auf Stephan.
    »Sie möchten wieder an die Presse gehen«, schloss Stephan.
    Justus Rosell bewegte zustimmend die Augenlider.
    »Ich werde meinen 45. Geburtstag nicht erleben, Herr Knobel. Das wäre Mitte Oktober dieses Jahres. Mit ganz viel Glück schaffe ich es bis zum Sommeranfang. Und wenn, dann vielleicht nur noch ohne Bewusstsein.«
    »Justus!« Seine Frau unterbrach ihn. Es war nicht mitleidig, eher belehrend hart. »Du darfst das nicht immer wieder sagen.«
    Rosells Blicke starrten geradeaus und fixierten die gegenüberliegende Wand.
    »Jedenfalls werde ich es so nicht mehr erleben!«, sagte er.
    Stephan wandte sich um. An der Wand, auf die Justus Rosell starrte, hing ein Foto. Stephan stand auf und ging näher an das Bild heran. Es zeigte Justus Rosell und seine Frau. Sie standen lachend Arm in Arm auf einer Promenade. Hinter ihnen war eine kleine Mauer, auf deren Krone einige Tonkübel mit mediterranen Pflanzen standen. Dahinter sah man das Meer, rechts eine Bucht mit einem kleinen Hafen, und weiter hinten, fast am Horizont, eine Landzunge, auf der sich Hochhäuser befanden.
    »Gran Canaria«, erklärte seine Frau. »Meine Heimat.« Sie lächelte. »Wir haben uns dort vor zwölf Jahren kennengelernt. Ich war Hotelfachkraft, mein Mann Gast. Wie die Dinge so laufen … Heute hat mein Mann ein Haus, ganz in der Nähe des Ortes, an dem die Aufnahme entstanden ist. Unser Refugium.« Es klang liebevoll vertraut und geheimnisvoll.
    Stephan betrachtete das Foto näher. Die Eheleute Rosell strahlten auf dem Bild in die Kamera.
    »Maspalomas«, sagte Frau Rosell. »Das Bild entstand, bevor Justus das erste Mal bei Hobbeling war. Es ist also schon einige Zeit her. Damals ahnten wir nicht, dass es unser letzter unbeschwerter Urlaub war.«
    Stephan schwieg betreten.
    »Ich werde dort sterben«, sagte Rosell in die Stille. Es war wie ein Schwur.
    Stephan setzte sich wieder.
    »Ich will in meinem Haus an der Küste sein und auf den Atlantik blicken, solange ich es nur eben kann«, sagte er seltsam weich.
    »Ist alles geregelt?«, fragte Stephan behutsam.
    »Testament?«, fragte Rosell und hustete wieder. »Meine Frau erbt alles. Wer sonst? Ich habe keine Kinder, keine Geschwister. Die Eltern sind lange tot. Ich brauche also kein Testament.« Er hielt inne und atmete eine Weile langsam ein und aus. »Um die Firma soll sich mein Vertreter kümmern. Er macht das gut. Er soll ruhig Chef werden.«
    »Langsam!«, mahnte seine Frau wieder. »Du sprichst zu schnell.« Sie hob seinen Kopf und richtete das Kissen nach.
    Rosell ließ sich wieder zurückfallen.
    Stephan wusste von Löffke, dass Justus Rosell eine Tiefbaufirma betrieb. Es war ein alteingesessenes Familienunternehmen, das bereits sein Großvater gegründet und an die nächste Generation weitergegeben hatte. Einige Jahre nach Übernahme von seinem Vater hatte Justus Rosell das Einzelunternehmen in eine GmbH überführt und stand ihr

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